JFBB Sektion: BRUCH ODER KONTINUITÄT? “ANTIZIONISMUS” UND ANTISEMITISMUS IM SOZIALISMUS UND DANACH
SEVEN JEWS FROM MY CLASS // SIEBEN JUDEN AUS MEINER KLASSE
Marcel Łoziński, PL 1991, 40 Min, Dok, OmU (Englisch + Deutsch)
Sprachfassung: Polnisch
Beim Klassentreffen in Polen nach über 30 Jahren spricht man über die alten Zeiten. Einige sind von weit her angereist. Denn als Jüdinnen und Juden wurde ihnen das Leben in der Volksrepublik Polen in den späten 1960er-Jahren zunehmend schwer gemacht. Die meisten trieb der Antisemitismus zur Emigration.
Als die ehemalige Lehrerin die Teilnehmer:innen des Klassentreffens aufruft, berichten einige, dass sie jetzt in Israel, Schweden, Frankreich oder den USA leben. So unterschiedlich ihre Lebensläufe sind, so sehr ähneln sich die Berichte über ihre Ausreise. Obwohl sie in Polen fest verwurzelt waren und dort Arbeit und Familie hatten, wuchsen die Zweifel: Sollten sie bleiben oder doch besser auswandern?
Als stummer, hinter der Kamera verborgener Beobachter, verfolgt Łoziński, wie sich die Debatten seiner ehemaligen Klassenkamerad:innen zunehmend darum drehen, ob man sich eher mit Polen oder mit dem Judentum identifiziert. Viele fühlen sich nach wie vor eher der polnischen Kultur zugehörig. Sie haben den Eindruck, dass sie erst in Zuschreibungen von außen zu Jüdinnen und Juden gemacht wurden. Ihre subjektive Identifikation ist hingegen längst nicht so eindeutig – auch 20 Jahre nach der Emigration.
Das Klassentreffen, das Łoziński hier portraitiert, fand kurz nach dem Fall des Sozialismus statt. Die antisemitischen Kampagnen der Regierung Gomułka waren noch nicht aufgearbeitet. Vor diesem Hintergrund wird der Dokumentarfilm selbst zu einem Dokument, wie damals Identitätsdiskurse zwischen Jüdinnen/Juden und Nichtjüdinnen/-juden geführt wurden – für viele erstmalig.
Text: Rainer Mende
GDANSKI RAILWAY STATION // DANZIGER BAHNHOF
Maria Zmarz-Koczanowic, PL 2007, 55 Min, Dok, OmU (Englisch + Deutsch)
Sprachfassung: Polnisch
Immer wieder treffen sich jüdische Emigrant*innen aus Polen in Aschkelon zum Treffen „Reunion ´68“. In Interviews berichten sie, wie in den 1960er-Jahren der Druck auf Jüdinnen und Juden in der Volksrepublik Polen immer größer wurde und sie aus dem Land trieb.
Aus allen Ecken der Welt kommen sie in die israelische Hafenstadt, ihre Lebenswege sind grundverschieden. Bei manchen von ihnen verblassen die Erinnerungen, andere wissen noch genau, wann ihr Zug 1968 vom Danziger Bahnhof in Warschau abfuhr und welche Blumen sie zum Abschied bekamen. Maria Zmarz-Koczanowicz fragt in Interviews nach der Zeit vor, während und nach der Ausreise und illustriert die Berichte mit filmischem Archivmaterial. Historische und aktuelle Aufnahmen des Bahnhofs komplettieren die Sicht auf diesen Ort, der für sie alle zum Schicksalsort wurde. Hier mussten sie – so wie Tausende andere Jüdinnen und Juden – für immer das Land verlassen, das für sie Heimat gewesen war. Dieser Verlust treibt ihnen noch immer Tränen in die Augen. Sie alle brachen von dort gegen ihren Willen in eine ungewisse Zukunft auf, weil die Volksrepublik Polen ihnen keine Perspektiven mehr bieten wollte. Jahrzehntelang hatten sie als Polinnen gelebt, bevor ihnen plötzlich erklärt worden war, dass sie als Jüdinnen und Juden keine Bürgerinnen dieses Landes (mehr) seien.
Text: Rainer Mende