Datum Uhrzeit
Titel, Sprache
Regisseur*in
Lettland / Frankreich / Belgien 2024, 84 min, ohne Dialog – FSK 6
Pädagogische Empfehlung – Sehenswert ab 8.
Der lettische Originaltitel Straume bedeutet „Strom, Strömung“
Regie: Gints Zilbalodis
Oscar® 2025 als Bester Animationsfilm
Kaum hat sich die kleine schwarze Katze den Schlaf aus den Augen gerieben, muss sie erschrocken feststellen, dass eine gewaltige Flut die alte Welt unter sich begräbt. Gerade noch so rettet sie sich auf ein Segelboot, wo nach und nach auch ein diebisches Äffchen, ein gutmütiger Labrador, ein schläfriges Wasserschwein und ein stolzer Sekretärvogel Zuflucht finden. Schon bald wird klar: Ihre Verschiedenheit ist ihre Stärke und gemeinsam stellen sie sich den Herausforderungen der neuen Welt.
Regisseur Gints Zilbalodis (AWAY – VOM FINDEN DES GLÜCKS) lässt uns in dieser großartigen Geschichte sanft in wunderschönen Tier- und Wasserwelten treiben. Obwohl FLOW auf eine ausschweifende Vermenschlichung seiner Protagonisten verzichtet, begegnen uns die tierischen Abenteurer ungemein beseelt. Sie vermitteln über Miauen, Grunzen und Bellen mehr Emotionen, als sie es mit Hilfe prominenter Synchronstimmen jemals könnten. FLOW ist ein Highlight für Groß und Klein!
FLOW ist mit dem Oscar® 2025 in der wichtigen Kategorie Best Animated Feature ausgezeichnet worden, zudem war er in der Kategorie Best International Feature nominiert. Dies bedeutet eine herausragende Anerkennung für das Phänomen aus Lettland: Der außergewöhnliche Animationsfilm brachte bereits das Publikum in Cannes zum Staunen und gewann in der Folge zahlreiche Preise, u.a. vier Preise in Annecy, den New York Critics Circle Award of Animation, den Europäischen Filmpreis, den Golden Globe – Bester Film / Animation, sowie den Prix Lumières. Insgesamt kann FLOW bisher auf über 70 Auszeichnungen verweisen. In Frankreich begeisterte die öettisch-französisch-belgisch Koproduktion bisher 600.000 Zuschauer, in Mexiko zählt der Film bereits über 1,5 Millionen Zuschauer.
„Wie sähe die Welt ohne uns Menschen aus? In seinem aufregenden, niederschmetternden und zugleich tröstlichen Sachbuch Die Welt ohne uns aus dem Jahr 2007 entwirft der Autor Alan Weisman hypothetisch eine Welt, in der die Menschen von einem Tag auf den anderen verschwunden sind. Welche Veränderungen könnten wir beobachten, was geschähe mit all den Zeugnisse menschlicher Zivilisation, den Häusern, den Städten, den anderen Hinterlassenschaften wie etwa den Kunststoffen, die wir der Erde als schweres Erbe hinterlassen haben? Zwar war zu der Zeit der bevorstehende Klimawandel längst in Grundzügen bewusst (zumindest jenen, die es wahrhaben wollten), doch natürlich sähe solch ein Buch mit dem Näherkommen der Bedrohungen durch eine sich aufheizende Erde noch einmal anders aus.
Ohne sich explizit auf Weismans Ausführungen zu beziehen, kann man Gints Zilbalodis’ faszinierenden Animationsfilm FLOW durchaus als Illustration und Umsetzung von Überlegungen über die Erde ohne den Menschen einerseits und über die Folgen des Klimawandels andererseits lesen — auch wenn der Film dies gar nicht so eindeutig benennt. Mit seinem 85 Minuten langen Film setzt Zilbalodis seinen eigenen animierten Kurzfilm AQUA aus dem Jahre 2012 fort und schickt ein schwarzes Kätzchen erst durch einen märchenhaften Wald und dann auf die Flucht vor einer plötzlich hereinbrechenden Flut gigantischen Ausmaßes. (…)
Zum Glück — und das ist nur eine von vielen Qualitäten von FLOW — kommen der Film und seine tierischen Protagonisten ohne jede Vermenschlichung der Fauna aus. Animationstechnisch kann und will der Film mit dem Niveau von Pixar und anderen US-Studios gar nicht mithalten, sondern geht seinen ganz eigenen Weg, der ein wenig an die Gestaltung von Computerspielen vergangener Tage erinnert. Dennoch gelingt es dem Film, gerade in der Reduzierung der grafischen Ausgestaltung insbesondere der Tiere diese zu sympathischen Projektionsflächen für das Publikum werden zu lassen.“ (Joachim Kurz, kino-zeit.de)
„Das Prinzip Hoffnung hat sich rar gemacht, auch wenn es immer wieder Lichtblicke gibt: hier ein Sonnenstrahl, dort eine satte Wiese, Früchte am Baum, das eigene Spiegelbild in ruhigem Wasser. Doch eine Dystopie kennt keine Gnade, und so ist dieser Film vor allem ein Plädoyer für den Zusammenhalt, mit dem sich am Ende doch noch überleben lässt. Ein faszinierender Animationsfilm, der durch die naturalistischen Bewegungsabläufe seiner tierischen Helden und die fast dreidimensionale Tiefe der Multiplan-Kamera-Bilder besticht.“ (Bernd Buder, FilmFestival Cottbus 24)
Deutschland / Estland / Finnland / Frankreich / Griechenland / Schweden 2024, 98 min
Russisch | Englisch | Schwedisch mit deutschen UT
Regie: Alexandros Avranas
Sergei und Natalia sind mit ihren zwei Töchtern von Russland nach Schweden geflohen und hoffen auf politisches Asyl. Katja, die jüngere Tochter, könnte als einzige die Misshandlungen bezeugen, denen der Vater ausgeliefert war. Doch die Eltern wollen ihr die Anhörungen bei der Migrationsbehörde nicht zumuten. Als der Asylantrag abgelehnt wird, fällt Katja ins Koma. Sergei und Natalia versuchen alles, um ihre Tochter wieder ins Leben zurückzuholen. Und suchen gleichzeitig nach einem Weg, um doch noch in Schweden bleiben zu können. (Filmfest Hamburg 2024)

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„QUIET LIFE ist ein ruhiger Film und ein stiller Aufschrei, großartig inszeniert und beeindruckend gespielt. Am Ende mag die Menschlichkeit siegen, doch hier ist sie hart und leidvoll errungen.“ (Britta Schmeis, epd-film.de)
„Diesmal ist es nicht die Spindel der bösen Hexe, sondern die unbarmherzige Bürokratie, die ein junges Mädchen in einen Dornröschenschlaf versetzt. Der Film QUIET LIFE erzählt die Geschichte einer russischen Flüchtlingsfamilie, die sich in Schweden um ihre Aufenthaltserlaubnis bemüht. In seinem distanziert-kühlen Drama zeichnet der griechische Regisseur Alexandros Avranas ein eindrucksvolles Bild des schwedischen Migrationssystems und beleuchtet dabei insbesondere das sogenannte Resignationssyndrom, das erstmals in den Neunzigerjahren dokumentiert wurde. Betroffen sind vor allem psychisch traumatisierte Kinder aus osteuropäischen Ländern, die als Reaktion auf die Belastungen des Migrationsprozesses in einen komatösen Zustand verfallen. Ihre Genesung kann Monate oder gar Jahre dauern und soll überhaupt nur möglich sein, wenn das Gefühl von Sicherheit innerhalb der Familie wiederhergestellt wird. Doch wie soll dies gelingen, wenn eine Abschiebung droht? Mit einer entrückten Atmosphäre und einem überzeugenden Ensemble fängt QUIET LIFE das verzweifelte Streben nach Normalität, Hoffnung und einem sicheren Leben ein.“ (Ulf Lepelmeier, filmstarts.de)
„Es ist unwahrscheinlich, dass QUIET LIFE in Russland gezeigt wird. Tschulpan Chamatowa verließ das Land nach Februar 2022. Sie lebt jetzt in Lettland und wurde in Russland wiederholt für ihre Äußerungen über Russland und den russisch-ukrainischen Konflikt kritisiert. Grigori Dobrygin, der bei der Berlinale den Silbernen Bären für seine Rolle in HOW I ENDED THIS SUMMER erhielt, lebt zwischen Berlin und Los Angeles. Im Jahr 2022 hat er sich offen für die Ukraine ausgesprochen. Doch wie ein Filmkritiker in Russland schrieb, spielt QUIET LIFE der russischen Propaganda in die Hände. Schließlich geht es darum, dass Russen, auch solche, die die russische Regierung kritisieren, im Westen nicht willkommen sind. Was sie dort erwartet, sind Bürokratie, Arbeitslosigkeit und andere Probleme. Gibt es dort überhaupt Hoffnung auf ein ruhiges Leben für sie? Das Finale des Films deutet es an.“ (Olga Silantjewa, mdz-moskau.eu)
Litauen 2024, 99 min, litauische Originalfassung mit deutschen UT
Regie: Saulė Bliuvaitė
„Ein beeindruckend harter Debütfilm mit einem Hauch Zärtlichkeit und Humor, der zeigt, wie weibliche Freundschaften an einem hoffnungslosen Ort Wurzeln schlagen.“ (Variety)
Die jugendliche Marija verbringt den Sommer bei ihrer Großmutter in einem Industriegebiet im Hinterland Litauens. Aufgrund ihres Gehfehlers wird sie schnell gemobbt und gerät in eine Prügelei mit der gleichaltrigen Kristina, die – wie viele andere Mädchen in dieser abgehängten Gegend – eine Modelschule besucht. Bald schließt sich auch Marija der kultähnlichen Institution an. Mit der Aussicht auf eine Karriere in der Modebranche werden hier Gefühle von Selbsthass normalisiert und Essstörungen sind an der Tagesordnung. Während sich eine intime Freundschaft zwischen Marija und Kristina entwickelt, geraten die Mädchen in eine sich immer schneller drehende Spirale, in der sie ihre Körper auf extreme Weise missbrauchen. Beruhend auf eigenen Erfahrungen offenbart Regisseurin Saulė Bliuvaitė die toxischen Strukturen einer ausbeuterischen, patriarchalen Gesellschaft, mit der viele junge Frauen zu kämpfen haben. Der weibliche Körper wird zur Währung, zum manipulierbaren Objekt – oder vielleicht doch zum letzten Fluchtweg aus einer chancenlosen Situation?

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(Wichtiger Hinweis: Dieser Film behandelt Themen im Zusammenhang mit Essstörungen und Körperbildproblemen und beinhaltet Darstellungen von Anorexie, Bulimie und Binge-Eating. Diese Inhalte könnten für Menschen mit einer Essstörung oder einer entsprechenden Vergangenheit belastend sein.
Beratungsstellen finden: www.bundesfachverbandessstoerungen.de / www.bzga-essstoerungen.de
Anonyme und kostenfreie Onlineberatung: www.ANAD-dialog.de
Hinweis in Kooperation mit ANAD-dialog erstellt.)
„Das junge litauische Kino bereitet sich langsam auf den weltweiten Durchbruch vor, und die Regiedebütantin Saulé Bliuvaité führt diese Bewegung mit ihrem herausragenden Film TOXIC an, der zurecht dieses Jahr den Goldenen Leoparden in Locarno gewonnen hat. (…) TOXIC ist ein pulsierender Film, der die Ängste und Träume heutiger Teenager in Osteuropa einfängt und gleichzeitig auf die Herausforderungen hinweist, die sie bewältigen müssen. Regisseurin Saulé Bliuvaité, die auf ihre eigenen Teenager-Erfahrungen zurückgreift, zeigt, dass sie das Talent hat, diese komplexen Themen mit Feingefühl und Respekt zu behandeln. Sicherlich das wichtigste Filmdebüt des aktuellen Kinojahres.“ (14films.de)
„Der Film ist kein Werk über Essstörung, sondern über Lebensrealitäten, in dem die Selbstoptimierung den Vorsprung anderer verkleinern muss… Alles für den Traum. Diese Maxime und dessen katastrophalen Konsequenzen ritzt Bliuvaitė jedem Zuschauenden ins Gewissen. Model, Körper, Kapital –TOXIC macht aus drei Wörtern eins.“ (Niklas Michels, kino-zeit.de)
Lettland / Frankreich / Belgien 2024, 84 min, ohne Dialog – FSK 6
Pädagogische Empfehlung – Sehenswert ab 8.
Der lettische Originaltitel Straume bedeutet „Strom, Strömung“
Regie: Gints Zilbalodis
Oscar® 2025 als Bester Animationsfilm
Kaum hat sich die kleine schwarze Katze den Schlaf aus den Augen gerieben, muss sie erschrocken feststellen, dass eine gewaltige Flut die alte Welt unter sich begräbt. Gerade noch so rettet sie sich auf ein Segelboot, wo nach und nach auch ein diebisches Äffchen, ein gutmütiger Labrador, ein schläfriges Wasserschwein und ein stolzer Sekretärvogel Zuflucht finden. Schon bald wird klar: Ihre Verschiedenheit ist ihre Stärke und gemeinsam stellen sie sich den Herausforderungen der neuen Welt.
Regisseur Gints Zilbalodis (AWAY – VOM FINDEN DES GLÜCKS) lässt uns in dieser großartigen Geschichte sanft in wunderschönen Tier- und Wasserwelten treiben. Obwohl FLOW auf eine ausschweifende Vermenschlichung seiner Protagonisten verzichtet, begegnen uns die tierischen Abenteurer ungemein beseelt. Sie vermitteln über Miauen, Grunzen und Bellen mehr Emotionen, als sie es mit Hilfe prominenter Synchronstimmen jemals könnten. FLOW ist ein Highlight für Groß und Klein!
FLOW ist mit dem Oscar® 2025 in der wichtigen Kategorie Best Animated Feature ausgezeichnet worden, zudem war er in der Kategorie Best International Feature nominiert. Dies bedeutet eine herausragende Anerkennung für das Phänomen aus Lettland: Der außergewöhnliche Animationsfilm brachte bereits das Publikum in Cannes zum Staunen und gewann in der Folge zahlreiche Preise, u.a. vier Preise in Annecy, den New York Critics Circle Award of Animation, den Europäischen Filmpreis, den Golden Globe – Bester Film / Animation, sowie den Prix Lumières. Insgesamt kann FLOW bisher auf über 70 Auszeichnungen verweisen. In Frankreich begeisterte die öettisch-französisch-belgisch Koproduktion bisher 600.000 Zuschauer, in Mexiko zählt der Film bereits über 1,5 Millionen Zuschauer.
„Wie sähe die Welt ohne uns Menschen aus? In seinem aufregenden, niederschmetternden und zugleich tröstlichen Sachbuch Die Welt ohne uns aus dem Jahr 2007 entwirft der Autor Alan Weisman hypothetisch eine Welt, in der die Menschen von einem Tag auf den anderen verschwunden sind. Welche Veränderungen könnten wir beobachten, was geschähe mit all den Zeugnisse menschlicher Zivilisation, den Häusern, den Städten, den anderen Hinterlassenschaften wie etwa den Kunststoffen, die wir der Erde als schweres Erbe hinterlassen haben? Zwar war zu der Zeit der bevorstehende Klimawandel längst in Grundzügen bewusst (zumindest jenen, die es wahrhaben wollten), doch natürlich sähe solch ein Buch mit dem Näherkommen der Bedrohungen durch eine sich aufheizende Erde noch einmal anders aus.
Ohne sich explizit auf Weismans Ausführungen zu beziehen, kann man Gints Zilbalodis’ faszinierenden Animationsfilm FLOW durchaus als Illustration und Umsetzung von Überlegungen über die Erde ohne den Menschen einerseits und über die Folgen des Klimawandels andererseits lesen — auch wenn der Film dies gar nicht so eindeutig benennt. Mit seinem 85 Minuten langen Film setzt Zilbalodis seinen eigenen animierten Kurzfilm AQUA aus dem Jahre 2012 fort und schickt ein schwarzes Kätzchen erst durch einen märchenhaften Wald und dann auf die Flucht vor einer plötzlich hereinbrechenden Flut gigantischen Ausmaßes. (…)
Zum Glück — und das ist nur eine von vielen Qualitäten von FLOW — kommen der Film und seine tierischen Protagonisten ohne jede Vermenschlichung der Fauna aus. Animationstechnisch kann und will der Film mit dem Niveau von Pixar und anderen US-Studios gar nicht mithalten, sondern geht seinen ganz eigenen Weg, der ein wenig an die Gestaltung von Computerspielen vergangener Tage erinnert. Dennoch gelingt es dem Film, gerade in der Reduzierung der grafischen Ausgestaltung insbesondere der Tiere diese zu sympathischen Projektionsflächen für das Publikum werden zu lassen.“ (Joachim Kurz, kino-zeit.de)
„Das Prinzip Hoffnung hat sich rar gemacht, auch wenn es immer wieder Lichtblicke gibt: hier ein Sonnenstrahl, dort eine satte Wiese, Früchte am Baum, das eigene Spiegelbild in ruhigem Wasser. Doch eine Dystopie kennt keine Gnade, und so ist dieser Film vor allem ein Plädoyer für den Zusammenhalt, mit dem sich am Ende doch noch überleben lässt. Ein faszinierender Animationsfilm, der durch die naturalistischen Bewegungsabläufe seiner tierischen Helden und die fast dreidimensionale Tiefe der Multiplan-Kamera-Bilder besticht.“ (Bernd Buder, FilmFestival Cottbus 24)
Deutschland / Estland / Finnland / Frankreich / Griechenland / Schweden 2024, 98 min
Russisch | Englisch | Schwedisch mit deutschen UT
Regie: Alexandros Avranas
Sergei und Natalia sind mit ihren zwei Töchtern von Russland nach Schweden geflohen und hoffen auf politisches Asyl. Katja, die jüngere Tochter, könnte als einzige die Misshandlungen bezeugen, denen der Vater ausgeliefert war. Doch die Eltern wollen ihr die Anhörungen bei der Migrationsbehörde nicht zumuten. Als der Asylantrag abgelehnt wird, fällt Katja ins Koma. Sergei und Natalia versuchen alles, um ihre Tochter wieder ins Leben zurückzuholen. Und suchen gleichzeitig nach einem Weg, um doch noch in Schweden bleiben zu können. (Filmfest Hamburg 2024)

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„QUIET LIFE ist ein ruhiger Film und ein stiller Aufschrei, großartig inszeniert und beeindruckend gespielt. Am Ende mag die Menschlichkeit siegen, doch hier ist sie hart und leidvoll errungen.“ (Britta Schmeis, epd-film.de)
„Diesmal ist es nicht die Spindel der bösen Hexe, sondern die unbarmherzige Bürokratie, die ein junges Mädchen in einen Dornröschenschlaf versetzt. Der Film QUIET LIFE erzählt die Geschichte einer russischen Flüchtlingsfamilie, die sich in Schweden um ihre Aufenthaltserlaubnis bemüht. In seinem distanziert-kühlen Drama zeichnet der griechische Regisseur Alexandros Avranas ein eindrucksvolles Bild des schwedischen Migrationssystems und beleuchtet dabei insbesondere das sogenannte Resignationssyndrom, das erstmals in den Neunzigerjahren dokumentiert wurde. Betroffen sind vor allem psychisch traumatisierte Kinder aus osteuropäischen Ländern, die als Reaktion auf die Belastungen des Migrationsprozesses in einen komatösen Zustand verfallen. Ihre Genesung kann Monate oder gar Jahre dauern und soll überhaupt nur möglich sein, wenn das Gefühl von Sicherheit innerhalb der Familie wiederhergestellt wird. Doch wie soll dies gelingen, wenn eine Abschiebung droht? Mit einer entrückten Atmosphäre und einem überzeugenden Ensemble fängt QUIET LIFE das verzweifelte Streben nach Normalität, Hoffnung und einem sicheren Leben ein.“ (Ulf Lepelmeier, filmstarts.de)
„Es ist unwahrscheinlich, dass QUIET LIFE in Russland gezeigt wird. Tschulpan Chamatowa verließ das Land nach Februar 2022. Sie lebt jetzt in Lettland und wurde in Russland wiederholt für ihre Äußerungen über Russland und den russisch-ukrainischen Konflikt kritisiert. Grigori Dobrygin, der bei der Berlinale den Silbernen Bären für seine Rolle in HOW I ENDED THIS SUMMER erhielt, lebt zwischen Berlin und Los Angeles. Im Jahr 2022 hat er sich offen für die Ukraine ausgesprochen. Doch wie ein Filmkritiker in Russland schrieb, spielt QUIET LIFE der russischen Propaganda in die Hände. Schließlich geht es darum, dass Russen, auch solche, die die russische Regierung kritisieren, im Westen nicht willkommen sind. Was sie dort erwartet, sind Bürokratie, Arbeitslosigkeit und andere Probleme. Gibt es dort überhaupt Hoffnung auf ein ruhiges Leben für sie? Das Finale des Films deutet es an.“ (Olga Silantjewa, mdz-moskau.eu)
Deutschland 2025, 111 min, deutsche Originalfassung
Regie: Kathrin Jahrreiß
Kathrin Jahrreiß geht dem Leben von drei sehr unterschiedlichen Brüdern nach: Einer machte bei den Nazis Karriere und behielt auch in der BRD einen hohen Status, ein anderer flüchtete in die USA und der dritte, ihr Opa, blieb nach der Ermordung seiner jüdischen Frau in Dresden, um nach dem Krieg als Anwalt einen Rechtsstaat mit aufzubauen – bis er von der Stasi rekrutiert wurde. Eine persönliche Spurensuche, die ein komplexes Bild einer deutsch-jüdischen Familie über drei Generationen in mehreren politischen Systemen zeichnet.
„Die Vergangenheit und Herkunft meines Vaters war für mich stets wie ein Buch mit leeren Seiten. Ich wollte besser verstehen, wie mein Vater der geworden ist, der er ist. Warum hat er so ein negatives Familienbild? Er habe noch ein ganz klares Bild von seinem Vater, erfahre ich. Es sei aber ‚der Vater von hinten‘. Dieses Bild kenne ich, auch ich sehe meinen Vater so vor mir, wenn ich an ihn denke. Wie kommen wir beide von unserem inneren Bild des ‚Vaters von hinten‘ los?
Durch den Fund der Briefe habe ich schnell gemerkt, dass auch die deutsche Zeitgeschichte viel damit zu tun hat, dass mein Vater keinen Familiensinn entwickeln konnte und die ganze Vergangenheit hinter dem Eisernen Vorhang lassen wollte. Mir wurde da zum ersten Mal klar, wie sehr die Zeitgeschichte unsere Biographien mitgestaltet, obwohl wir glauben, alles selbst in der Hand zu haben. Mit großem Erkenntnisinteresse fing ich an, in unserer Familienvergangenheit zu graben. Über mein persönliches Interesse hinaus erzählt die Geschichte der drei Brüder für mich exemplarisch das Universelle im Individuellen: jeder der drei Brüder stellt mit seiner Biographie als pars pro toto jeweils eine der Möglichkeiten dar, wie man in einem totalitären Regime überleben kann. Zerrissen zwischen ihren Entscheidungen, zwischen Flucht, Trotz und Kollaboration, laufen die Wege der Brüder auseinander, nachdem sie, gemeinsam in Dresden beim Vater aufgewachsen, im Ersten Weltkrieg noch an der gleichen Front gekämpft hatten.
Der Film erzählt dabei keine Heldengeschichte, sondern ist eher eine Art vielschichtige Tiefenbohrung, die versucht, die Protagonisten in ihrer Fehlbarkeit, ihrer Ambivalenz und Widersprüchlichkeit menschlich nahbar zu zeigen. Daraus ergibt sich die Frage nach Haltung und Moral in Zeiten existentieller Bedrohung durch eine Gewaltherrschaft. Der differenzierte Blick auf die Graustufen der damaligen Lebenswirklichkeit ist für mich der eigentliche Schlüssel zum Verständnis. Die vielen Briefe meiner Vorfahren haben mir diese Tür geöffnet und mir geholfen, die Perspektive zu wechseln und mir, anders als bei einer Draufsicht, die damalige Zeit aus Sicht der Betroffenen vorzustellen. Durch eine Betrachtung der Protagonisten in der Vielschichtigkeit ihrer damaligen Lebenswirklichkeit hatte ich das Gefühl, ihnen am ehesten gerecht werden zu können. So entstand für mich eine Nahbarkeit, in der ich mich auch selbst spiegeln konnte: Was hätte ich wohl getan, damals? Was würde ich heute tun, käme eine Diktatur an die Macht? Das Land verlassen, mich dagegen stellen oder versuchen möglichst unbeschadet durchzukommen?
Der biographischen Prägung durch die politische Zeitgeschichte kann sich niemand entziehen und obwohl klar ist, dass sich viele Antworten auf Fragen der Gegenwart in der Vergangenheit finden, herrscht innerfamiliär oft eine große Sprachlosigkeit zwischen den Generationen. Wieviel die Herkunft und
Vergangenheit mit dem eigenen Leben zu tun haben versteht man möglicherweise aber auch erst so richtig, wenn man selbst schon etwas älter ist. Ich vermute, dass in fast allen deutschen Familien noch Kisten im Keller stehen, die unausgepackt geblieben sind. Viele Geschichten sind noch nicht erzählt worden und wenn wir jetzt nicht fragen, nehmen sie unsere Eltern am Ende mit ins Grab… Als Vater und Tochter schauen wir aus dem Heute als zweite und dritte Generation auf die Geschichte: er ist mit Verdrängung aufgewachsen und fremdelt mit Verwandtschaft und Familie. Ich aber möchte alles wissen und meiner Oma ein Denkmal setzen, denn ich finde, erst wenn man vergessen wird, ist man wirklich gestorben.
Mein Vater war von Anfang an bereit, mein Filmprojekt zu unterstützen, bedauerte dabei aber stets, mir nicht helfen zu können, da er kaum etwas wisse. Manchmal ließ er dann beiläufig und scheinbar unbewusst eine wichtige Information fallen, wie ein Puzzleteilchen, das ich eifrig aufhob, um es in mein 1000-Teile Puzzle einzuordnen.
Als ich ihm meine Rechercheergebnisse präsentierte und mit ihm zu den früheren Schauplätzen fuhr, schien er immer mehr Neugier auf seine eigene Geschichte zu entwickeln. Dass er sich eingelassen hat auf diese Reise und auf seine Tochter als ‚Reiseleiterin‘ war ein großes Glück für mich, für uns beide vielleicht.“ (Regiestatement)
Litauen 2024, 99 min, litauische Originalfassung mit deutschen UT
Regie: Saulė Bliuvaitė
„Ein beeindruckend harter Debütfilm mit einem Hauch Zärtlichkeit und Humor, der zeigt, wie weibliche Freundschaften an einem hoffnungslosen Ort Wurzeln schlagen.“ (Variety)
Die jugendliche Marija verbringt den Sommer bei ihrer Großmutter in einem Industriegebiet im Hinterland Litauens. Aufgrund ihres Gehfehlers wird sie schnell gemobbt und gerät in eine Prügelei mit der gleichaltrigen Kristina, die – wie viele andere Mädchen in dieser abgehängten Gegend – eine Modelschule besucht. Bald schließt sich auch Marija der kultähnlichen Institution an. Mit der Aussicht auf eine Karriere in der Modebranche werden hier Gefühle von Selbsthass normalisiert und Essstörungen sind an der Tagesordnung. Während sich eine intime Freundschaft zwischen Marija und Kristina entwickelt, geraten die Mädchen in eine sich immer schneller drehende Spirale, in der sie ihre Körper auf extreme Weise missbrauchen. Beruhend auf eigenen Erfahrungen offenbart Regisseurin Saulė Bliuvaitė die toxischen Strukturen einer ausbeuterischen, patriarchalen Gesellschaft, mit der viele junge Frauen zu kämpfen haben. Der weibliche Körper wird zur Währung, zum manipulierbaren Objekt – oder vielleicht doch zum letzten Fluchtweg aus einer chancenlosen Situation?

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(Wichtiger Hinweis: Dieser Film behandelt Themen im Zusammenhang mit Essstörungen und Körperbildproblemen und beinhaltet Darstellungen von Anorexie, Bulimie und Binge-Eating. Diese Inhalte könnten für Menschen mit einer Essstörung oder einer entsprechenden Vergangenheit belastend sein.
Beratungsstellen finden: www.bundesfachverbandessstoerungen.de / www.bzga-essstoerungen.de
Anonyme und kostenfreie Onlineberatung: www.ANAD-dialog.de
Hinweis in Kooperation mit ANAD-dialog erstellt.)
„Das junge litauische Kino bereitet sich langsam auf den weltweiten Durchbruch vor, und die Regiedebütantin Saulé Bliuvaité führt diese Bewegung mit ihrem herausragenden Film TOXIC an, der zurecht dieses Jahr den Goldenen Leoparden in Locarno gewonnen hat. (…) TOXIC ist ein pulsierender Film, der die Ängste und Träume heutiger Teenager in Osteuropa einfängt und gleichzeitig auf die Herausforderungen hinweist, die sie bewältigen müssen. Regisseurin Saulé Bliuvaité, die auf ihre eigenen Teenager-Erfahrungen zurückgreift, zeigt, dass sie das Talent hat, diese komplexen Themen mit Feingefühl und Respekt zu behandeln. Sicherlich das wichtigste Filmdebüt des aktuellen Kinojahres.“ (14films.de)
„Der Film ist kein Werk über Essstörung, sondern über Lebensrealitäten, in dem die Selbstoptimierung den Vorsprung anderer verkleinern muss… Alles für den Traum. Diese Maxime und dessen katastrophalen Konsequenzen ritzt Bliuvaitė jedem Zuschauenden ins Gewissen. Model, Körper, Kapital –TOXIC macht aus drei Wörtern eins.“ (Niklas Michels, kino-zeit.de)
Lettland / Frankreich / Belgien 2024, 84 min, ohne Dialog – FSK 6
Pädagogische Empfehlung – Sehenswert ab 8.
Der lettische Originaltitel Straume bedeutet „Strom, Strömung“
Regie: Gints Zilbalodis
Oscar® 2025 als Bester Animationsfilm
Kaum hat sich die kleine schwarze Katze den Schlaf aus den Augen gerieben, muss sie erschrocken feststellen, dass eine gewaltige Flut die alte Welt unter sich begräbt. Gerade noch so rettet sie sich auf ein Segelboot, wo nach und nach auch ein diebisches Äffchen, ein gutmütiger Labrador, ein schläfriges Wasserschwein und ein stolzer Sekretärvogel Zuflucht finden. Schon bald wird klar: Ihre Verschiedenheit ist ihre Stärke und gemeinsam stellen sie sich den Herausforderungen der neuen Welt.
Regisseur Gints Zilbalodis (AWAY – VOM FINDEN DES GLÜCKS) lässt uns in dieser großartigen Geschichte sanft in wunderschönen Tier- und Wasserwelten treiben. Obwohl FLOW auf eine ausschweifende Vermenschlichung seiner Protagonisten verzichtet, begegnen uns die tierischen Abenteurer ungemein beseelt. Sie vermitteln über Miauen, Grunzen und Bellen mehr Emotionen, als sie es mit Hilfe prominenter Synchronstimmen jemals könnten. FLOW ist ein Highlight für Groß und Klein!
FLOW ist mit dem Oscar® 2025 in der wichtigen Kategorie Best Animated Feature ausgezeichnet worden, zudem war er in der Kategorie Best International Feature nominiert. Dies bedeutet eine herausragende Anerkennung für das Phänomen aus Lettland: Der außergewöhnliche Animationsfilm brachte bereits das Publikum in Cannes zum Staunen und gewann in der Folge zahlreiche Preise, u.a. vier Preise in Annecy, den New York Critics Circle Award of Animation, den Europäischen Filmpreis, den Golden Globe – Bester Film / Animation, sowie den Prix Lumières. Insgesamt kann FLOW bisher auf über 70 Auszeichnungen verweisen. In Frankreich begeisterte die öettisch-französisch-belgisch Koproduktion bisher 600.000 Zuschauer, in Mexiko zählt der Film bereits über 1,5 Millionen Zuschauer.
„Wie sähe die Welt ohne uns Menschen aus? In seinem aufregenden, niederschmetternden und zugleich tröstlichen Sachbuch Die Welt ohne uns aus dem Jahr 2007 entwirft der Autor Alan Weisman hypothetisch eine Welt, in der die Menschen von einem Tag auf den anderen verschwunden sind. Welche Veränderungen könnten wir beobachten, was geschähe mit all den Zeugnisse menschlicher Zivilisation, den Häusern, den Städten, den anderen Hinterlassenschaften wie etwa den Kunststoffen, die wir der Erde als schweres Erbe hinterlassen haben? Zwar war zu der Zeit der bevorstehende Klimawandel längst in Grundzügen bewusst (zumindest jenen, die es wahrhaben wollten), doch natürlich sähe solch ein Buch mit dem Näherkommen der Bedrohungen durch eine sich aufheizende Erde noch einmal anders aus.
Ohne sich explizit auf Weismans Ausführungen zu beziehen, kann man Gints Zilbalodis’ faszinierenden Animationsfilm FLOW durchaus als Illustration und Umsetzung von Überlegungen über die Erde ohne den Menschen einerseits und über die Folgen des Klimawandels andererseits lesen — auch wenn der Film dies gar nicht so eindeutig benennt. Mit seinem 85 Minuten langen Film setzt Zilbalodis seinen eigenen animierten Kurzfilm AQUA aus dem Jahre 2012 fort und schickt ein schwarzes Kätzchen erst durch einen märchenhaften Wald und dann auf die Flucht vor einer plötzlich hereinbrechenden Flut gigantischen Ausmaßes. (…)
Zum Glück — und das ist nur eine von vielen Qualitäten von FLOW — kommen der Film und seine tierischen Protagonisten ohne jede Vermenschlichung der Fauna aus. Animationstechnisch kann und will der Film mit dem Niveau von Pixar und anderen US-Studios gar nicht mithalten, sondern geht seinen ganz eigenen Weg, der ein wenig an die Gestaltung von Computerspielen vergangener Tage erinnert. Dennoch gelingt es dem Film, gerade in der Reduzierung der grafischen Ausgestaltung insbesondere der Tiere diese zu sympathischen Projektionsflächen für das Publikum werden zu lassen.“ (Joachim Kurz, kino-zeit.de)
„Das Prinzip Hoffnung hat sich rar gemacht, auch wenn es immer wieder Lichtblicke gibt: hier ein Sonnenstrahl, dort eine satte Wiese, Früchte am Baum, das eigene Spiegelbild in ruhigem Wasser. Doch eine Dystopie kennt keine Gnade, und so ist dieser Film vor allem ein Plädoyer für den Zusammenhalt, mit dem sich am Ende doch noch überleben lässt. Ein faszinierender Animationsfilm, der durch die naturalistischen Bewegungsabläufe seiner tierischen Helden und die fast dreidimensionale Tiefe der Multiplan-Kamera-Bilder besticht.“ (Bernd Buder, FilmFestival Cottbus 24)
Deutschland / Estland / Finnland / Frankreich / Griechenland / Schweden 2024, 98 min
Russisch | Englisch | Schwedisch mit deutschen UT
Regie: Alexandros Avranas
Sergei und Natalia sind mit ihren zwei Töchtern von Russland nach Schweden geflohen und hoffen auf politisches Asyl. Katja, die jüngere Tochter, könnte als einzige die Misshandlungen bezeugen, denen der Vater ausgeliefert war. Doch die Eltern wollen ihr die Anhörungen bei der Migrationsbehörde nicht zumuten. Als der Asylantrag abgelehnt wird, fällt Katja ins Koma. Sergei und Natalia versuchen alles, um ihre Tochter wieder ins Leben zurückzuholen. Und suchen gleichzeitig nach einem Weg, um doch noch in Schweden bleiben zu können. (Filmfest Hamburg 2024)

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Mehr erfahren
„QUIET LIFE ist ein ruhiger Film und ein stiller Aufschrei, großartig inszeniert und beeindruckend gespielt. Am Ende mag die Menschlichkeit siegen, doch hier ist sie hart und leidvoll errungen.“ (Britta Schmeis, epd-film.de)
„Diesmal ist es nicht die Spindel der bösen Hexe, sondern die unbarmherzige Bürokratie, die ein junges Mädchen in einen Dornröschenschlaf versetzt. Der Film QUIET LIFE erzählt die Geschichte einer russischen Flüchtlingsfamilie, die sich in Schweden um ihre Aufenthaltserlaubnis bemüht. In seinem distanziert-kühlen Drama zeichnet der griechische Regisseur Alexandros Avranas ein eindrucksvolles Bild des schwedischen Migrationssystems und beleuchtet dabei insbesondere das sogenannte Resignationssyndrom, das erstmals in den Neunzigerjahren dokumentiert wurde. Betroffen sind vor allem psychisch traumatisierte Kinder aus osteuropäischen Ländern, die als Reaktion auf die Belastungen des Migrationsprozesses in einen komatösen Zustand verfallen. Ihre Genesung kann Monate oder gar Jahre dauern und soll überhaupt nur möglich sein, wenn das Gefühl von Sicherheit innerhalb der Familie wiederhergestellt wird. Doch wie soll dies gelingen, wenn eine Abschiebung droht? Mit einer entrückten Atmosphäre und einem überzeugenden Ensemble fängt QUIET LIFE das verzweifelte Streben nach Normalität, Hoffnung und einem sicheren Leben ein.“ (Ulf Lepelmeier, filmstarts.de)
„Es ist unwahrscheinlich, dass QUIET LIFE in Russland gezeigt wird. Tschulpan Chamatowa verließ das Land nach Februar 2022. Sie lebt jetzt in Lettland und wurde in Russland wiederholt für ihre Äußerungen über Russland und den russisch-ukrainischen Konflikt kritisiert. Grigori Dobrygin, der bei der Berlinale den Silbernen Bären für seine Rolle in HOW I ENDED THIS SUMMER erhielt, lebt zwischen Berlin und Los Angeles. Im Jahr 2022 hat er sich offen für die Ukraine ausgesprochen. Doch wie ein Filmkritiker in Russland schrieb, spielt QUIET LIFE der russischen Propaganda in die Hände. Schließlich geht es darum, dass Russen, auch solche, die die russische Regierung kritisieren, im Westen nicht willkommen sind. Was sie dort erwartet, sind Bürokratie, Arbeitslosigkeit und andere Probleme. Gibt es dort überhaupt Hoffnung auf ein ruhiges Leben für sie? Das Finale des Films deutet es an.“ (Olga Silantjewa, mdz-moskau.eu)
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Regie: Kathrin Jahrreiß
Kathrin Jahrreiß geht dem Leben von drei sehr unterschiedlichen Brüdern nach: Einer machte bei den Nazis Karriere und behielt auch in der BRD einen hohen Status, ein anderer flüchtete in die USA und der dritte, ihr Opa, blieb nach der Ermordung seiner jüdischen Frau in Dresden, um nach dem Krieg als Anwalt einen Rechtsstaat mit aufzubauen – bis er von der Stasi rekrutiert wurde. Eine persönliche Spurensuche, die ein komplexes Bild einer deutsch-jüdischen Familie über drei Generationen in mehreren politischen Systemen zeichnet.
„Die Vergangenheit und Herkunft meines Vaters war für mich stets wie ein Buch mit leeren Seiten. Ich wollte besser verstehen, wie mein Vater der geworden ist, der er ist. Warum hat er so ein negatives Familienbild? Er habe noch ein ganz klares Bild von seinem Vater, erfahre ich. Es sei aber ‚der Vater von hinten‘. Dieses Bild kenne ich, auch ich sehe meinen Vater so vor mir, wenn ich an ihn denke. Wie kommen wir beide von unserem inneren Bild des ‚Vaters von hinten‘ los?
Durch den Fund der Briefe habe ich schnell gemerkt, dass auch die deutsche Zeitgeschichte viel damit zu tun hat, dass mein Vater keinen Familiensinn entwickeln konnte und die ganze Vergangenheit hinter dem Eisernen Vorhang lassen wollte. Mir wurde da zum ersten Mal klar, wie sehr die Zeitgeschichte unsere Biographien mitgestaltet, obwohl wir glauben, alles selbst in der Hand zu haben. Mit großem Erkenntnisinteresse fing ich an, in unserer Familienvergangenheit zu graben. Über mein persönliches Interesse hinaus erzählt die Geschichte der drei Brüder für mich exemplarisch das Universelle im Individuellen: jeder der drei Brüder stellt mit seiner Biographie als pars pro toto jeweils eine der Möglichkeiten dar, wie man in einem totalitären Regime überleben kann. Zerrissen zwischen ihren Entscheidungen, zwischen Flucht, Trotz und Kollaboration, laufen die Wege der Brüder auseinander, nachdem sie, gemeinsam in Dresden beim Vater aufgewachsen, im Ersten Weltkrieg noch an der gleichen Front gekämpft hatten.
Der Film erzählt dabei keine Heldengeschichte, sondern ist eher eine Art vielschichtige Tiefenbohrung, die versucht, die Protagonisten in ihrer Fehlbarkeit, ihrer Ambivalenz und Widersprüchlichkeit menschlich nahbar zu zeigen. Daraus ergibt sich die Frage nach Haltung und Moral in Zeiten existentieller Bedrohung durch eine Gewaltherrschaft. Der differenzierte Blick auf die Graustufen der damaligen Lebenswirklichkeit ist für mich der eigentliche Schlüssel zum Verständnis. Die vielen Briefe meiner Vorfahren haben mir diese Tür geöffnet und mir geholfen, die Perspektive zu wechseln und mir, anders als bei einer Draufsicht, die damalige Zeit aus Sicht der Betroffenen vorzustellen. Durch eine Betrachtung der Protagonisten in der Vielschichtigkeit ihrer damaligen Lebenswirklichkeit hatte ich das Gefühl, ihnen am ehesten gerecht werden zu können. So entstand für mich eine Nahbarkeit, in der ich mich auch selbst spiegeln konnte: Was hätte ich wohl getan, damals? Was würde ich heute tun, käme eine Diktatur an die Macht? Das Land verlassen, mich dagegen stellen oder versuchen möglichst unbeschadet durchzukommen?
Der biographischen Prägung durch die politische Zeitgeschichte kann sich niemand entziehen und obwohl klar ist, dass sich viele Antworten auf Fragen der Gegenwart in der Vergangenheit finden, herrscht innerfamiliär oft eine große Sprachlosigkeit zwischen den Generationen. Wieviel die Herkunft und
Vergangenheit mit dem eigenen Leben zu tun haben versteht man möglicherweise aber auch erst so richtig, wenn man selbst schon etwas älter ist. Ich vermute, dass in fast allen deutschen Familien noch Kisten im Keller stehen, die unausgepackt geblieben sind. Viele Geschichten sind noch nicht erzählt worden und wenn wir jetzt nicht fragen, nehmen sie unsere Eltern am Ende mit ins Grab… Als Vater und Tochter schauen wir aus dem Heute als zweite und dritte Generation auf die Geschichte: er ist mit Verdrängung aufgewachsen und fremdelt mit Verwandtschaft und Familie. Ich aber möchte alles wissen und meiner Oma ein Denkmal setzen, denn ich finde, erst wenn man vergessen wird, ist man wirklich gestorben.
Mein Vater war von Anfang an bereit, mein Filmprojekt zu unterstützen, bedauerte dabei aber stets, mir nicht helfen zu können, da er kaum etwas wisse. Manchmal ließ er dann beiläufig und scheinbar unbewusst eine wichtige Information fallen, wie ein Puzzleteilchen, das ich eifrig aufhob, um es in mein 1000-Teile Puzzle einzuordnen.
Als ich ihm meine Rechercheergebnisse präsentierte und mit ihm zu den früheren Schauplätzen fuhr, schien er immer mehr Neugier auf seine eigene Geschichte zu entwickeln. Dass er sich eingelassen hat auf diese Reise und auf seine Tochter als ‚Reiseleiterin‘ war ein großes Glück für mich, für uns beide vielleicht.“ (Regiestatement)
Litauen 2024, 99 min, litauische Originalfassung mit deutschen UT
Regie: Saulė Bliuvaitė
„Ein beeindruckend harter Debütfilm mit einem Hauch Zärtlichkeit und Humor, der zeigt, wie weibliche Freundschaften an einem hoffnungslosen Ort Wurzeln schlagen.“ (Variety)
Die jugendliche Marija verbringt den Sommer bei ihrer Großmutter in einem Industriegebiet im Hinterland Litauens. Aufgrund ihres Gehfehlers wird sie schnell gemobbt und gerät in eine Prügelei mit der gleichaltrigen Kristina, die – wie viele andere Mädchen in dieser abgehängten Gegend – eine Modelschule besucht. Bald schließt sich auch Marija der kultähnlichen Institution an. Mit der Aussicht auf eine Karriere in der Modebranche werden hier Gefühle von Selbsthass normalisiert und Essstörungen sind an der Tagesordnung. Während sich eine intime Freundschaft zwischen Marija und Kristina entwickelt, geraten die Mädchen in eine sich immer schneller drehende Spirale, in der sie ihre Körper auf extreme Weise missbrauchen. Beruhend auf eigenen Erfahrungen offenbart Regisseurin Saulė Bliuvaitė die toxischen Strukturen einer ausbeuterischen, patriarchalen Gesellschaft, mit der viele junge Frauen zu kämpfen haben. Der weibliche Körper wird zur Währung, zum manipulierbaren Objekt – oder vielleicht doch zum letzten Fluchtweg aus einer chancenlosen Situation?

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(Wichtiger Hinweis: Dieser Film behandelt Themen im Zusammenhang mit Essstörungen und Körperbildproblemen und beinhaltet Darstellungen von Anorexie, Bulimie und Binge-Eating. Diese Inhalte könnten für Menschen mit einer Essstörung oder einer entsprechenden Vergangenheit belastend sein.
Beratungsstellen finden: www.bundesfachverbandessstoerungen.de / www.bzga-essstoerungen.de
Anonyme und kostenfreie Onlineberatung: www.ANAD-dialog.de
Hinweis in Kooperation mit ANAD-dialog erstellt.)
„Das junge litauische Kino bereitet sich langsam auf den weltweiten Durchbruch vor, und die Regiedebütantin Saulé Bliuvaité führt diese Bewegung mit ihrem herausragenden Film TOXIC an, der zurecht dieses Jahr den Goldenen Leoparden in Locarno gewonnen hat. (…) TOXIC ist ein pulsierender Film, der die Ängste und Träume heutiger Teenager in Osteuropa einfängt und gleichzeitig auf die Herausforderungen hinweist, die sie bewältigen müssen. Regisseurin Saulé Bliuvaité, die auf ihre eigenen Teenager-Erfahrungen zurückgreift, zeigt, dass sie das Talent hat, diese komplexen Themen mit Feingefühl und Respekt zu behandeln. Sicherlich das wichtigste Filmdebüt des aktuellen Kinojahres.“ (14films.de)
„Der Film ist kein Werk über Essstörung, sondern über Lebensrealitäten, in dem die Selbstoptimierung den Vorsprung anderer verkleinern muss… Alles für den Traum. Diese Maxime und dessen katastrophalen Konsequenzen ritzt Bliuvaitė jedem Zuschauenden ins Gewissen. Model, Körper, Kapital –TOXIC macht aus drei Wörtern eins.“ (Niklas Michels, kino-zeit.de)
Lettland / Frankreich / Belgien 2024, 84 min, ohne Dialog – FSK 6
Pädagogische Empfehlung – Sehenswert ab 8.
Der lettische Originaltitel Straume bedeutet „Strom, Strömung“
Regie: Gints Zilbalodis
Oscar® 2025 als Bester Animationsfilm
Kaum hat sich die kleine schwarze Katze den Schlaf aus den Augen gerieben, muss sie erschrocken feststellen, dass eine gewaltige Flut die alte Welt unter sich begräbt. Gerade noch so rettet sie sich auf ein Segelboot, wo nach und nach auch ein diebisches Äffchen, ein gutmütiger Labrador, ein schläfriges Wasserschwein und ein stolzer Sekretärvogel Zuflucht finden. Schon bald wird klar: Ihre Verschiedenheit ist ihre Stärke und gemeinsam stellen sie sich den Herausforderungen der neuen Welt.
Regisseur Gints Zilbalodis (AWAY – VOM FINDEN DES GLÜCKS) lässt uns in dieser großartigen Geschichte sanft in wunderschönen Tier- und Wasserwelten treiben. Obwohl FLOW auf eine ausschweifende Vermenschlichung seiner Protagonisten verzichtet, begegnen uns die tierischen Abenteurer ungemein beseelt. Sie vermitteln über Miauen, Grunzen und Bellen mehr Emotionen, als sie es mit Hilfe prominenter Synchronstimmen jemals könnten. FLOW ist ein Highlight für Groß und Klein!
FLOW ist mit dem Oscar® 2025 in der wichtigen Kategorie Best Animated Feature ausgezeichnet worden, zudem war er in der Kategorie Best International Feature nominiert. Dies bedeutet eine herausragende Anerkennung für das Phänomen aus Lettland: Der außergewöhnliche Animationsfilm brachte bereits das Publikum in Cannes zum Staunen und gewann in der Folge zahlreiche Preise, u.a. vier Preise in Annecy, den New York Critics Circle Award of Animation, den Europäischen Filmpreis, den Golden Globe – Bester Film / Animation, sowie den Prix Lumières. Insgesamt kann FLOW bisher auf über 70 Auszeichnungen verweisen. In Frankreich begeisterte die öettisch-französisch-belgisch Koproduktion bisher 600.000 Zuschauer, in Mexiko zählt der Film bereits über 1,5 Millionen Zuschauer.
„Wie sähe die Welt ohne uns Menschen aus? In seinem aufregenden, niederschmetternden und zugleich tröstlichen Sachbuch Die Welt ohne uns aus dem Jahr 2007 entwirft der Autor Alan Weisman hypothetisch eine Welt, in der die Menschen von einem Tag auf den anderen verschwunden sind. Welche Veränderungen könnten wir beobachten, was geschähe mit all den Zeugnisse menschlicher Zivilisation, den Häusern, den Städten, den anderen Hinterlassenschaften wie etwa den Kunststoffen, die wir der Erde als schweres Erbe hinterlassen haben? Zwar war zu der Zeit der bevorstehende Klimawandel längst in Grundzügen bewusst (zumindest jenen, die es wahrhaben wollten), doch natürlich sähe solch ein Buch mit dem Näherkommen der Bedrohungen durch eine sich aufheizende Erde noch einmal anders aus.
Ohne sich explizit auf Weismans Ausführungen zu beziehen, kann man Gints Zilbalodis’ faszinierenden Animationsfilm FLOW durchaus als Illustration und Umsetzung von Überlegungen über die Erde ohne den Menschen einerseits und über die Folgen des Klimawandels andererseits lesen — auch wenn der Film dies gar nicht so eindeutig benennt. Mit seinem 85 Minuten langen Film setzt Zilbalodis seinen eigenen animierten Kurzfilm AQUA aus dem Jahre 2012 fort und schickt ein schwarzes Kätzchen erst durch einen märchenhaften Wald und dann auf die Flucht vor einer plötzlich hereinbrechenden Flut gigantischen Ausmaßes. (…)
Zum Glück — und das ist nur eine von vielen Qualitäten von FLOW — kommen der Film und seine tierischen Protagonisten ohne jede Vermenschlichung der Fauna aus. Animationstechnisch kann und will der Film mit dem Niveau von Pixar und anderen US-Studios gar nicht mithalten, sondern geht seinen ganz eigenen Weg, der ein wenig an die Gestaltung von Computerspielen vergangener Tage erinnert. Dennoch gelingt es dem Film, gerade in der Reduzierung der grafischen Ausgestaltung insbesondere der Tiere diese zu sympathischen Projektionsflächen für das Publikum werden zu lassen.“ (Joachim Kurz, kino-zeit.de)
„Das Prinzip Hoffnung hat sich rar gemacht, auch wenn es immer wieder Lichtblicke gibt: hier ein Sonnenstrahl, dort eine satte Wiese, Früchte am Baum, das eigene Spiegelbild in ruhigem Wasser. Doch eine Dystopie kennt keine Gnade, und so ist dieser Film vor allem ein Plädoyer für den Zusammenhalt, mit dem sich am Ende doch noch überleben lässt. Ein faszinierender Animationsfilm, der durch die naturalistischen Bewegungsabläufe seiner tierischen Helden und die fast dreidimensionale Tiefe der Multiplan-Kamera-Bilder besticht.“ (Bernd Buder, FilmFestival Cottbus 24)
Deutschland / Estland / Finnland / Frankreich / Griechenland / Schweden 2024, 98 min
Russisch | Englisch | Schwedisch mit deutschen UT
Regie: Alexandros Avranas
Sergei und Natalia sind mit ihren zwei Töchtern von Russland nach Schweden geflohen und hoffen auf politisches Asyl. Katja, die jüngere Tochter, könnte als einzige die Misshandlungen bezeugen, denen der Vater ausgeliefert war. Doch die Eltern wollen ihr die Anhörungen bei der Migrationsbehörde nicht zumuten. Als der Asylantrag abgelehnt wird, fällt Katja ins Koma. Sergei und Natalia versuchen alles, um ihre Tochter wieder ins Leben zurückzuholen. Und suchen gleichzeitig nach einem Weg, um doch noch in Schweden bleiben zu können. (Filmfest Hamburg 2024)

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„QUIET LIFE ist ein ruhiger Film und ein stiller Aufschrei, großartig inszeniert und beeindruckend gespielt. Am Ende mag die Menschlichkeit siegen, doch hier ist sie hart und leidvoll errungen.“ (Britta Schmeis, epd-film.de)
„Diesmal ist es nicht die Spindel der bösen Hexe, sondern die unbarmherzige Bürokratie, die ein junges Mädchen in einen Dornröschenschlaf versetzt. Der Film QUIET LIFE erzählt die Geschichte einer russischen Flüchtlingsfamilie, die sich in Schweden um ihre Aufenthaltserlaubnis bemüht. In seinem distanziert-kühlen Drama zeichnet der griechische Regisseur Alexandros Avranas ein eindrucksvolles Bild des schwedischen Migrationssystems und beleuchtet dabei insbesondere das sogenannte Resignationssyndrom, das erstmals in den Neunzigerjahren dokumentiert wurde. Betroffen sind vor allem psychisch traumatisierte Kinder aus osteuropäischen Ländern, die als Reaktion auf die Belastungen des Migrationsprozesses in einen komatösen Zustand verfallen. Ihre Genesung kann Monate oder gar Jahre dauern und soll überhaupt nur möglich sein, wenn das Gefühl von Sicherheit innerhalb der Familie wiederhergestellt wird. Doch wie soll dies gelingen, wenn eine Abschiebung droht? Mit einer entrückten Atmosphäre und einem überzeugenden Ensemble fängt QUIET LIFE das verzweifelte Streben nach Normalität, Hoffnung und einem sicheren Leben ein.“ (Ulf Lepelmeier, filmstarts.de)
„Es ist unwahrscheinlich, dass QUIET LIFE in Russland gezeigt wird. Tschulpan Chamatowa verließ das Land nach Februar 2022. Sie lebt jetzt in Lettland und wurde in Russland wiederholt für ihre Äußerungen über Russland und den russisch-ukrainischen Konflikt kritisiert. Grigori Dobrygin, der bei der Berlinale den Silbernen Bären für seine Rolle in HOW I ENDED THIS SUMMER erhielt, lebt zwischen Berlin und Los Angeles. Im Jahr 2022 hat er sich offen für die Ukraine ausgesprochen. Doch wie ein Filmkritiker in Russland schrieb, spielt QUIET LIFE der russischen Propaganda in die Hände. Schließlich geht es darum, dass Russen, auch solche, die die russische Regierung kritisieren, im Westen nicht willkommen sind. Was sie dort erwartet, sind Bürokratie, Arbeitslosigkeit und andere Probleme. Gibt es dort überhaupt Hoffnung auf ein ruhiges Leben für sie? Das Finale des Films deutet es an.“ (Olga Silantjewa, mdz-moskau.eu)
Deutschland 2025, 111 min, deutsche Originalfassung
Regie: Kathrin Jahrreiß
Kathrin Jahrreiß geht dem Leben von drei sehr unterschiedlichen Brüdern nach: Einer machte bei den Nazis Karriere und behielt auch in der BRD einen hohen Status, ein anderer flüchtete in die USA und der dritte, ihr Opa, blieb nach der Ermordung seiner jüdischen Frau in Dresden, um nach dem Krieg als Anwalt einen Rechtsstaat mit aufzubauen – bis er von der Stasi rekrutiert wurde. Eine persönliche Spurensuche, die ein komplexes Bild einer deutsch-jüdischen Familie über drei Generationen in mehreren politischen Systemen zeichnet.
„Die Vergangenheit und Herkunft meines Vaters war für mich stets wie ein Buch mit leeren Seiten. Ich wollte besser verstehen, wie mein Vater der geworden ist, der er ist. Warum hat er so ein negatives Familienbild? Er habe noch ein ganz klares Bild von seinem Vater, erfahre ich. Es sei aber ‚der Vater von hinten‘. Dieses Bild kenne ich, auch ich sehe meinen Vater so vor mir, wenn ich an ihn denke. Wie kommen wir beide von unserem inneren Bild des ‚Vaters von hinten‘ los?
Durch den Fund der Briefe habe ich schnell gemerkt, dass auch die deutsche Zeitgeschichte viel damit zu tun hat, dass mein Vater keinen Familiensinn entwickeln konnte und die ganze Vergangenheit hinter dem Eisernen Vorhang lassen wollte. Mir wurde da zum ersten Mal klar, wie sehr die Zeitgeschichte unsere Biographien mitgestaltet, obwohl wir glauben, alles selbst in der Hand zu haben. Mit großem Erkenntnisinteresse fing ich an, in unserer Familienvergangenheit zu graben. Über mein persönliches Interesse hinaus erzählt die Geschichte der drei Brüder für mich exemplarisch das Universelle im Individuellen: jeder der drei Brüder stellt mit seiner Biographie als pars pro toto jeweils eine der Möglichkeiten dar, wie man in einem totalitären Regime überleben kann. Zerrissen zwischen ihren Entscheidungen, zwischen Flucht, Trotz und Kollaboration, laufen die Wege der Brüder auseinander, nachdem sie, gemeinsam in Dresden beim Vater aufgewachsen, im Ersten Weltkrieg noch an der gleichen Front gekämpft hatten.
Der Film erzählt dabei keine Heldengeschichte, sondern ist eher eine Art vielschichtige Tiefenbohrung, die versucht, die Protagonisten in ihrer Fehlbarkeit, ihrer Ambivalenz und Widersprüchlichkeit menschlich nahbar zu zeigen. Daraus ergibt sich die Frage nach Haltung und Moral in Zeiten existentieller Bedrohung durch eine Gewaltherrschaft. Der differenzierte Blick auf die Graustufen der damaligen Lebenswirklichkeit ist für mich der eigentliche Schlüssel zum Verständnis. Die vielen Briefe meiner Vorfahren haben mir diese Tür geöffnet und mir geholfen, die Perspektive zu wechseln und mir, anders als bei einer Draufsicht, die damalige Zeit aus Sicht der Betroffenen vorzustellen. Durch eine Betrachtung der Protagonisten in der Vielschichtigkeit ihrer damaligen Lebenswirklichkeit hatte ich das Gefühl, ihnen am ehesten gerecht werden zu können. So entstand für mich eine Nahbarkeit, in der ich mich auch selbst spiegeln konnte: Was hätte ich wohl getan, damals? Was würde ich heute tun, käme eine Diktatur an die Macht? Das Land verlassen, mich dagegen stellen oder versuchen möglichst unbeschadet durchzukommen?
Der biographischen Prägung durch die politische Zeitgeschichte kann sich niemand entziehen und obwohl klar ist, dass sich viele Antworten auf Fragen der Gegenwart in der Vergangenheit finden, herrscht innerfamiliär oft eine große Sprachlosigkeit zwischen den Generationen. Wieviel die Herkunft und
Vergangenheit mit dem eigenen Leben zu tun haben versteht man möglicherweise aber auch erst so richtig, wenn man selbst schon etwas älter ist. Ich vermute, dass in fast allen deutschen Familien noch Kisten im Keller stehen, die unausgepackt geblieben sind. Viele Geschichten sind noch nicht erzählt worden und wenn wir jetzt nicht fragen, nehmen sie unsere Eltern am Ende mit ins Grab… Als Vater und Tochter schauen wir aus dem Heute als zweite und dritte Generation auf die Geschichte: er ist mit Verdrängung aufgewachsen und fremdelt mit Verwandtschaft und Familie. Ich aber möchte alles wissen und meiner Oma ein Denkmal setzen, denn ich finde, erst wenn man vergessen wird, ist man wirklich gestorben.
Mein Vater war von Anfang an bereit, mein Filmprojekt zu unterstützen, bedauerte dabei aber stets, mir nicht helfen zu können, da er kaum etwas wisse. Manchmal ließ er dann beiläufig und scheinbar unbewusst eine wichtige Information fallen, wie ein Puzzleteilchen, das ich eifrig aufhob, um es in mein 1000-Teile Puzzle einzuordnen.
Als ich ihm meine Rechercheergebnisse präsentierte und mit ihm zu den früheren Schauplätzen fuhr, schien er immer mehr Neugier auf seine eigene Geschichte zu entwickeln. Dass er sich eingelassen hat auf diese Reise und auf seine Tochter als ‚Reiseleiterin‘ war ein großes Glück für mich, für uns beide vielleicht.“ (Regiestatement)
Litauen 2024, 99 min, litauische Originalfassung mit deutschen UT
Regie: Saulė Bliuvaitė
„Ein beeindruckend harter Debütfilm mit einem Hauch Zärtlichkeit und Humor, der zeigt, wie weibliche Freundschaften an einem hoffnungslosen Ort Wurzeln schlagen.“ (Variety)
Die jugendliche Marija verbringt den Sommer bei ihrer Großmutter in einem Industriegebiet im Hinterland Litauens. Aufgrund ihres Gehfehlers wird sie schnell gemobbt und gerät in eine Prügelei mit der gleichaltrigen Kristina, die – wie viele andere Mädchen in dieser abgehängten Gegend – eine Modelschule besucht. Bald schließt sich auch Marija der kultähnlichen Institution an. Mit der Aussicht auf eine Karriere in der Modebranche werden hier Gefühle von Selbsthass normalisiert und Essstörungen sind an der Tagesordnung. Während sich eine intime Freundschaft zwischen Marija und Kristina entwickelt, geraten die Mädchen in eine sich immer schneller drehende Spirale, in der sie ihre Körper auf extreme Weise missbrauchen. Beruhend auf eigenen Erfahrungen offenbart Regisseurin Saulė Bliuvaitė die toxischen Strukturen einer ausbeuterischen, patriarchalen Gesellschaft, mit der viele junge Frauen zu kämpfen haben. Der weibliche Körper wird zur Währung, zum manipulierbaren Objekt – oder vielleicht doch zum letzten Fluchtweg aus einer chancenlosen Situation?

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(Wichtiger Hinweis: Dieser Film behandelt Themen im Zusammenhang mit Essstörungen und Körperbildproblemen und beinhaltet Darstellungen von Anorexie, Bulimie und Binge-Eating. Diese Inhalte könnten für Menschen mit einer Essstörung oder einer entsprechenden Vergangenheit belastend sein.
Beratungsstellen finden: www.bundesfachverbandessstoerungen.de / www.bzga-essstoerungen.de
Anonyme und kostenfreie Onlineberatung: www.ANAD-dialog.de
Hinweis in Kooperation mit ANAD-dialog erstellt.)
„Das junge litauische Kino bereitet sich langsam auf den weltweiten Durchbruch vor, und die Regiedebütantin Saulé Bliuvaité führt diese Bewegung mit ihrem herausragenden Film TOXIC an, der zurecht dieses Jahr den Goldenen Leoparden in Locarno gewonnen hat. (…) TOXIC ist ein pulsierender Film, der die Ängste und Träume heutiger Teenager in Osteuropa einfängt und gleichzeitig auf die Herausforderungen hinweist, die sie bewältigen müssen. Regisseurin Saulé Bliuvaité, die auf ihre eigenen Teenager-Erfahrungen zurückgreift, zeigt, dass sie das Talent hat, diese komplexen Themen mit Feingefühl und Respekt zu behandeln. Sicherlich das wichtigste Filmdebüt des aktuellen Kinojahres.“ (14films.de)
„Der Film ist kein Werk über Essstörung, sondern über Lebensrealitäten, in dem die Selbstoptimierung den Vorsprung anderer verkleinern muss… Alles für den Traum. Diese Maxime und dessen katastrophalen Konsequenzen ritzt Bliuvaitė jedem Zuschauenden ins Gewissen. Model, Körper, Kapital –TOXIC macht aus drei Wörtern eins.“ (Niklas Michels, kino-zeit.de)
Litauen 2024, 99 min, litauische Originalfassung mit deutschen UT
Regie: Saulė Bliuvaitė
„Ein beeindruckend harter Debütfilm mit einem Hauch Zärtlichkeit und Humor, der zeigt, wie weibliche Freundschaften an einem hoffnungslosen Ort Wurzeln schlagen.“ (Variety)
Die jugendliche Marija verbringt den Sommer bei ihrer Großmutter in einem Industriegebiet im Hinterland Litauens. Aufgrund ihres Gehfehlers wird sie schnell gemobbt und gerät in eine Prügelei mit der gleichaltrigen Kristina, die – wie viele andere Mädchen in dieser abgehängten Gegend – eine Modelschule besucht. Bald schließt sich auch Marija der kultähnlichen Institution an. Mit der Aussicht auf eine Karriere in der Modebranche werden hier Gefühle von Selbsthass normalisiert und Essstörungen sind an der Tagesordnung. Während sich eine intime Freundschaft zwischen Marija und Kristina entwickelt, geraten die Mädchen in eine sich immer schneller drehende Spirale, in der sie ihre Körper auf extreme Weise missbrauchen. Beruhend auf eigenen Erfahrungen offenbart Regisseurin Saulė Bliuvaitė die toxischen Strukturen einer ausbeuterischen, patriarchalen Gesellschaft, mit der viele junge Frauen zu kämpfen haben. Der weibliche Körper wird zur Währung, zum manipulierbaren Objekt – oder vielleicht doch zum letzten Fluchtweg aus einer chancenlosen Situation?

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(Wichtiger Hinweis: Dieser Film behandelt Themen im Zusammenhang mit Essstörungen und Körperbildproblemen und beinhaltet Darstellungen von Anorexie, Bulimie und Binge-Eating. Diese Inhalte könnten für Menschen mit einer Essstörung oder einer entsprechenden Vergangenheit belastend sein.
Beratungsstellen finden: www.bundesfachverbandessstoerungen.de / www.bzga-essstoerungen.de
Anonyme und kostenfreie Onlineberatung: www.ANAD-dialog.de
Hinweis in Kooperation mit ANAD-dialog erstellt.)
„Das junge litauische Kino bereitet sich langsam auf den weltweiten Durchbruch vor, und die Regiedebütantin Saulé Bliuvaité führt diese Bewegung mit ihrem herausragenden Film TOXIC an, der zurecht dieses Jahr den Goldenen Leoparden in Locarno gewonnen hat. (…) TOXIC ist ein pulsierender Film, der die Ängste und Träume heutiger Teenager in Osteuropa einfängt und gleichzeitig auf die Herausforderungen hinweist, die sie bewältigen müssen. Regisseurin Saulé Bliuvaité, die auf ihre eigenen Teenager-Erfahrungen zurückgreift, zeigt, dass sie das Talent hat, diese komplexen Themen mit Feingefühl und Respekt zu behandeln. Sicherlich das wichtigste Filmdebüt des aktuellen Kinojahres.“ (14films.de)
„Der Film ist kein Werk über Essstörung, sondern über Lebensrealitäten, in dem die Selbstoptimierung den Vorsprung anderer verkleinern muss… Alles für den Traum. Diese Maxime und dessen katastrophalen Konsequenzen ritzt Bliuvaitė jedem Zuschauenden ins Gewissen. Model, Körper, Kapital –TOXIC macht aus drei Wörtern eins.“ (Niklas Michels, kino-zeit.de)
Deutschland 2025, 111 min, deutsche Originalfassung
Regie: Kathrin Jahrreiß
Kathrin Jahrreiß geht dem Leben von drei sehr unterschiedlichen Brüdern nach: Einer machte bei den Nazis Karriere und behielt auch in der BRD einen hohen Status, ein anderer flüchtete in die USA und der dritte, ihr Opa, blieb nach der Ermordung seiner jüdischen Frau in Dresden, um nach dem Krieg als Anwalt einen Rechtsstaat mit aufzubauen – bis er von der Stasi rekrutiert wurde. Eine persönliche Spurensuche, die ein komplexes Bild einer deutsch-jüdischen Familie über drei Generationen in mehreren politischen Systemen zeichnet.
„Die Vergangenheit und Herkunft meines Vaters war für mich stets wie ein Buch mit leeren Seiten. Ich wollte besser verstehen, wie mein Vater der geworden ist, der er ist. Warum hat er so ein negatives Familienbild? Er habe noch ein ganz klares Bild von seinem Vater, erfahre ich. Es sei aber ‚der Vater von hinten‘. Dieses Bild kenne ich, auch ich sehe meinen Vater so vor mir, wenn ich an ihn denke. Wie kommen wir beide von unserem inneren Bild des ‚Vaters von hinten‘ los?
Durch den Fund der Briefe habe ich schnell gemerkt, dass auch die deutsche Zeitgeschichte viel damit zu tun hat, dass mein Vater keinen Familiensinn entwickeln konnte und die ganze Vergangenheit hinter dem Eisernen Vorhang lassen wollte. Mir wurde da zum ersten Mal klar, wie sehr die Zeitgeschichte unsere Biographien mitgestaltet, obwohl wir glauben, alles selbst in der Hand zu haben. Mit großem Erkenntnisinteresse fing ich an, in unserer Familienvergangenheit zu graben. Über mein persönliches Interesse hinaus erzählt die Geschichte der drei Brüder für mich exemplarisch das Universelle im Individuellen: jeder der drei Brüder stellt mit seiner Biographie als pars pro toto jeweils eine der Möglichkeiten dar, wie man in einem totalitären Regime überleben kann. Zerrissen zwischen ihren Entscheidungen, zwischen Flucht, Trotz und Kollaboration, laufen die Wege der Brüder auseinander, nachdem sie, gemeinsam in Dresden beim Vater aufgewachsen, im Ersten Weltkrieg noch an der gleichen Front gekämpft hatten.
Der Film erzählt dabei keine Heldengeschichte, sondern ist eher eine Art vielschichtige Tiefenbohrung, die versucht, die Protagonisten in ihrer Fehlbarkeit, ihrer Ambivalenz und Widersprüchlichkeit menschlich nahbar zu zeigen. Daraus ergibt sich die Frage nach Haltung und Moral in Zeiten existentieller Bedrohung durch eine Gewaltherrschaft. Der differenzierte Blick auf die Graustufen der damaligen Lebenswirklichkeit ist für mich der eigentliche Schlüssel zum Verständnis. Die vielen Briefe meiner Vorfahren haben mir diese Tür geöffnet und mir geholfen, die Perspektive zu wechseln und mir, anders als bei einer Draufsicht, die damalige Zeit aus Sicht der Betroffenen vorzustellen. Durch eine Betrachtung der Protagonisten in der Vielschichtigkeit ihrer damaligen Lebenswirklichkeit hatte ich das Gefühl, ihnen am ehesten gerecht werden zu können. So entstand für mich eine Nahbarkeit, in der ich mich auch selbst spiegeln konnte: Was hätte ich wohl getan, damals? Was würde ich heute tun, käme eine Diktatur an die Macht? Das Land verlassen, mich dagegen stellen oder versuchen möglichst unbeschadet durchzukommen?
Der biographischen Prägung durch die politische Zeitgeschichte kann sich niemand entziehen und obwohl klar ist, dass sich viele Antworten auf Fragen der Gegenwart in der Vergangenheit finden, herrscht innerfamiliär oft eine große Sprachlosigkeit zwischen den Generationen. Wieviel die Herkunft und
Vergangenheit mit dem eigenen Leben zu tun haben versteht man möglicherweise aber auch erst so richtig, wenn man selbst schon etwas älter ist. Ich vermute, dass in fast allen deutschen Familien noch Kisten im Keller stehen, die unausgepackt geblieben sind. Viele Geschichten sind noch nicht erzählt worden und wenn wir jetzt nicht fragen, nehmen sie unsere Eltern am Ende mit ins Grab… Als Vater und Tochter schauen wir aus dem Heute als zweite und dritte Generation auf die Geschichte: er ist mit Verdrängung aufgewachsen und fremdelt mit Verwandtschaft und Familie. Ich aber möchte alles wissen und meiner Oma ein Denkmal setzen, denn ich finde, erst wenn man vergessen wird, ist man wirklich gestorben.
Mein Vater war von Anfang an bereit, mein Filmprojekt zu unterstützen, bedauerte dabei aber stets, mir nicht helfen zu können, da er kaum etwas wisse. Manchmal ließ er dann beiläufig und scheinbar unbewusst eine wichtige Information fallen, wie ein Puzzleteilchen, das ich eifrig aufhob, um es in mein 1000-Teile Puzzle einzuordnen.
Als ich ihm meine Rechercheergebnisse präsentierte und mit ihm zu den früheren Schauplätzen fuhr, schien er immer mehr Neugier auf seine eigene Geschichte zu entwickeln. Dass er sich eingelassen hat auf diese Reise und auf seine Tochter als ‚Reiseleiterin‘ war ein großes Glück für mich, für uns beide vielleicht.“ (Regiestatement)
Deutschland / Estland / Finnland / Frankreich / Griechenland / Schweden 2024, 98 min
Russisch | Englisch | Schwedisch mit deutschen UT
Regie: Alexandros Avranas
Sergei und Natalia sind mit ihren zwei Töchtern von Russland nach Schweden geflohen und hoffen auf politisches Asyl. Katja, die jüngere Tochter, könnte als einzige die Misshandlungen bezeugen, denen der Vater ausgeliefert war. Doch die Eltern wollen ihr die Anhörungen bei der Migrationsbehörde nicht zumuten. Als der Asylantrag abgelehnt wird, fällt Katja ins Koma. Sergei und Natalia versuchen alles, um ihre Tochter wieder ins Leben zurückzuholen. Und suchen gleichzeitig nach einem Weg, um doch noch in Schweden bleiben zu können. (Filmfest Hamburg 2024)

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„QUIET LIFE ist ein ruhiger Film und ein stiller Aufschrei, großartig inszeniert und beeindruckend gespielt. Am Ende mag die Menschlichkeit siegen, doch hier ist sie hart und leidvoll errungen.“ (Britta Schmeis, epd-film.de)
„Diesmal ist es nicht die Spindel der bösen Hexe, sondern die unbarmherzige Bürokratie, die ein junges Mädchen in einen Dornröschenschlaf versetzt. Der Film QUIET LIFE erzählt die Geschichte einer russischen Flüchtlingsfamilie, die sich in Schweden um ihre Aufenthaltserlaubnis bemüht. In seinem distanziert-kühlen Drama zeichnet der griechische Regisseur Alexandros Avranas ein eindrucksvolles Bild des schwedischen Migrationssystems und beleuchtet dabei insbesondere das sogenannte Resignationssyndrom, das erstmals in den Neunzigerjahren dokumentiert wurde. Betroffen sind vor allem psychisch traumatisierte Kinder aus osteuropäischen Ländern, die als Reaktion auf die Belastungen des Migrationsprozesses in einen komatösen Zustand verfallen. Ihre Genesung kann Monate oder gar Jahre dauern und soll überhaupt nur möglich sein, wenn das Gefühl von Sicherheit innerhalb der Familie wiederhergestellt wird. Doch wie soll dies gelingen, wenn eine Abschiebung droht? Mit einer entrückten Atmosphäre und einem überzeugenden Ensemble fängt QUIET LIFE das verzweifelte Streben nach Normalität, Hoffnung und einem sicheren Leben ein.“ (Ulf Lepelmeier, filmstarts.de)
„Es ist unwahrscheinlich, dass QUIET LIFE in Russland gezeigt wird. Tschulpan Chamatowa verließ das Land nach Februar 2022. Sie lebt jetzt in Lettland und wurde in Russland wiederholt für ihre Äußerungen über Russland und den russisch-ukrainischen Konflikt kritisiert. Grigori Dobrygin, der bei der Berlinale den Silbernen Bären für seine Rolle in HOW I ENDED THIS SUMMER erhielt, lebt zwischen Berlin und Los Angeles. Im Jahr 2022 hat er sich offen für die Ukraine ausgesprochen. Doch wie ein Filmkritiker in Russland schrieb, spielt QUIET LIFE der russischen Propaganda in die Hände. Schließlich geht es darum, dass Russen, auch solche, die die russische Regierung kritisieren, im Westen nicht willkommen sind. Was sie dort erwartet, sind Bürokratie, Arbeitslosigkeit und andere Probleme. Gibt es dort überhaupt Hoffnung auf ein ruhiges Leben für sie? Das Finale des Films deutet es an.“ (Olga Silantjewa, mdz-moskau.eu)
Litauen 2024, 99 min, litauische Originalfassung mit deutschen UT
Regie: Saulė Bliuvaitė
„Ein beeindruckend harter Debütfilm mit einem Hauch Zärtlichkeit und Humor, der zeigt, wie weibliche Freundschaften an einem hoffnungslosen Ort Wurzeln schlagen.“ (Variety)
Die jugendliche Marija verbringt den Sommer bei ihrer Großmutter in einem Industriegebiet im Hinterland Litauens. Aufgrund ihres Gehfehlers wird sie schnell gemobbt und gerät in eine Prügelei mit der gleichaltrigen Kristina, die – wie viele andere Mädchen in dieser abgehängten Gegend – eine Modelschule besucht. Bald schließt sich auch Marija der kultähnlichen Institution an. Mit der Aussicht auf eine Karriere in der Modebranche werden hier Gefühle von Selbsthass normalisiert und Essstörungen sind an der Tagesordnung. Während sich eine intime Freundschaft zwischen Marija und Kristina entwickelt, geraten die Mädchen in eine sich immer schneller drehende Spirale, in der sie ihre Körper auf extreme Weise missbrauchen. Beruhend auf eigenen Erfahrungen offenbart Regisseurin Saulė Bliuvaitė die toxischen Strukturen einer ausbeuterischen, patriarchalen Gesellschaft, mit der viele junge Frauen zu kämpfen haben. Der weibliche Körper wird zur Währung, zum manipulierbaren Objekt – oder vielleicht doch zum letzten Fluchtweg aus einer chancenlosen Situation?

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(Wichtiger Hinweis: Dieser Film behandelt Themen im Zusammenhang mit Essstörungen und Körperbildproblemen und beinhaltet Darstellungen von Anorexie, Bulimie und Binge-Eating. Diese Inhalte könnten für Menschen mit einer Essstörung oder einer entsprechenden Vergangenheit belastend sein.
Beratungsstellen finden: www.bundesfachverbandessstoerungen.de / www.bzga-essstoerungen.de
Anonyme und kostenfreie Onlineberatung: www.ANAD-dialog.de
Hinweis in Kooperation mit ANAD-dialog erstellt.)
„Das junge litauische Kino bereitet sich langsam auf den weltweiten Durchbruch vor, und die Regiedebütantin Saulé Bliuvaité führt diese Bewegung mit ihrem herausragenden Film TOXIC an, der zurecht dieses Jahr den Goldenen Leoparden in Locarno gewonnen hat. (…) TOXIC ist ein pulsierender Film, der die Ängste und Träume heutiger Teenager in Osteuropa einfängt und gleichzeitig auf die Herausforderungen hinweist, die sie bewältigen müssen. Regisseurin Saulé Bliuvaité, die auf ihre eigenen Teenager-Erfahrungen zurückgreift, zeigt, dass sie das Talent hat, diese komplexen Themen mit Feingefühl und Respekt zu behandeln. Sicherlich das wichtigste Filmdebüt des aktuellen Kinojahres.“ (14films.de)
„Der Film ist kein Werk über Essstörung, sondern über Lebensrealitäten, in dem die Selbstoptimierung den Vorsprung anderer verkleinern muss… Alles für den Traum. Diese Maxime und dessen katastrophalen Konsequenzen ritzt Bliuvaitė jedem Zuschauenden ins Gewissen. Model, Körper, Kapital –TOXIC macht aus drei Wörtern eins.“ (Niklas Michels, kino-zeit.de)
Deutschland 2025, 111 min, deutsche Originalfassung
Regie: Kathrin Jahrreiß
Kathrin Jahrreiß geht dem Leben von drei sehr unterschiedlichen Brüdern nach: Einer machte bei den Nazis Karriere und behielt auch in der BRD einen hohen Status, ein anderer flüchtete in die USA und der dritte, ihr Opa, blieb nach der Ermordung seiner jüdischen Frau in Dresden, um nach dem Krieg als Anwalt einen Rechtsstaat mit aufzubauen – bis er von der Stasi rekrutiert wurde. Eine persönliche Spurensuche, die ein komplexes Bild einer deutsch-jüdischen Familie über drei Generationen in mehreren politischen Systemen zeichnet.
„Die Vergangenheit und Herkunft meines Vaters war für mich stets wie ein Buch mit leeren Seiten. Ich wollte besser verstehen, wie mein Vater der geworden ist, der er ist. Warum hat er so ein negatives Familienbild? Er habe noch ein ganz klares Bild von seinem Vater, erfahre ich. Es sei aber ‚der Vater von hinten‘. Dieses Bild kenne ich, auch ich sehe meinen Vater so vor mir, wenn ich an ihn denke. Wie kommen wir beide von unserem inneren Bild des ‚Vaters von hinten‘ los?
Durch den Fund der Briefe habe ich schnell gemerkt, dass auch die deutsche Zeitgeschichte viel damit zu tun hat, dass mein Vater keinen Familiensinn entwickeln konnte und die ganze Vergangenheit hinter dem Eisernen Vorhang lassen wollte. Mir wurde da zum ersten Mal klar, wie sehr die Zeitgeschichte unsere Biographien mitgestaltet, obwohl wir glauben, alles selbst in der Hand zu haben. Mit großem Erkenntnisinteresse fing ich an, in unserer Familienvergangenheit zu graben. Über mein persönliches Interesse hinaus erzählt die Geschichte der drei Brüder für mich exemplarisch das Universelle im Individuellen: jeder der drei Brüder stellt mit seiner Biographie als pars pro toto jeweils eine der Möglichkeiten dar, wie man in einem totalitären Regime überleben kann. Zerrissen zwischen ihren Entscheidungen, zwischen Flucht, Trotz und Kollaboration, laufen die Wege der Brüder auseinander, nachdem sie, gemeinsam in Dresden beim Vater aufgewachsen, im Ersten Weltkrieg noch an der gleichen Front gekämpft hatten.
Der Film erzählt dabei keine Heldengeschichte, sondern ist eher eine Art vielschichtige Tiefenbohrung, die versucht, die Protagonisten in ihrer Fehlbarkeit, ihrer Ambivalenz und Widersprüchlichkeit menschlich nahbar zu zeigen. Daraus ergibt sich die Frage nach Haltung und Moral in Zeiten existentieller Bedrohung durch eine Gewaltherrschaft. Der differenzierte Blick auf die Graustufen der damaligen Lebenswirklichkeit ist für mich der eigentliche Schlüssel zum Verständnis. Die vielen Briefe meiner Vorfahren haben mir diese Tür geöffnet und mir geholfen, die Perspektive zu wechseln und mir, anders als bei einer Draufsicht, die damalige Zeit aus Sicht der Betroffenen vorzustellen. Durch eine Betrachtung der Protagonisten in der Vielschichtigkeit ihrer damaligen Lebenswirklichkeit hatte ich das Gefühl, ihnen am ehesten gerecht werden zu können. So entstand für mich eine Nahbarkeit, in der ich mich auch selbst spiegeln konnte: Was hätte ich wohl getan, damals? Was würde ich heute tun, käme eine Diktatur an die Macht? Das Land verlassen, mich dagegen stellen oder versuchen möglichst unbeschadet durchzukommen?
Der biographischen Prägung durch die politische Zeitgeschichte kann sich niemand entziehen und obwohl klar ist, dass sich viele Antworten auf Fragen der Gegenwart in der Vergangenheit finden, herrscht innerfamiliär oft eine große Sprachlosigkeit zwischen den Generationen. Wieviel die Herkunft und
Vergangenheit mit dem eigenen Leben zu tun haben versteht man möglicherweise aber auch erst so richtig, wenn man selbst schon etwas älter ist. Ich vermute, dass in fast allen deutschen Familien noch Kisten im Keller stehen, die unausgepackt geblieben sind. Viele Geschichten sind noch nicht erzählt worden und wenn wir jetzt nicht fragen, nehmen sie unsere Eltern am Ende mit ins Grab… Als Vater und Tochter schauen wir aus dem Heute als zweite und dritte Generation auf die Geschichte: er ist mit Verdrängung aufgewachsen und fremdelt mit Verwandtschaft und Familie. Ich aber möchte alles wissen und meiner Oma ein Denkmal setzen, denn ich finde, erst wenn man vergessen wird, ist man wirklich gestorben.
Mein Vater war von Anfang an bereit, mein Filmprojekt zu unterstützen, bedauerte dabei aber stets, mir nicht helfen zu können, da er kaum etwas wisse. Manchmal ließ er dann beiläufig und scheinbar unbewusst eine wichtige Information fallen, wie ein Puzzleteilchen, das ich eifrig aufhob, um es in mein 1000-Teile Puzzle einzuordnen.
Als ich ihm meine Rechercheergebnisse präsentierte und mit ihm zu den früheren Schauplätzen fuhr, schien er immer mehr Neugier auf seine eigene Geschichte zu entwickeln. Dass er sich eingelassen hat auf diese Reise und auf seine Tochter als ‚Reiseleiterin‘ war ein großes Glück für mich, für uns beide vielleicht.“ (Regiestatement)
Deutschland / Estland / Finnland / Frankreich / Griechenland / Schweden 2024, 98 min
Russisch | Englisch | Schwedisch mit deutschen UT
Regie: Alexandros Avranas
Sergei und Natalia sind mit ihren zwei Töchtern von Russland nach Schweden geflohen und hoffen auf politisches Asyl. Katja, die jüngere Tochter, könnte als einzige die Misshandlungen bezeugen, denen der Vater ausgeliefert war. Doch die Eltern wollen ihr die Anhörungen bei der Migrationsbehörde nicht zumuten. Als der Asylantrag abgelehnt wird, fällt Katja ins Koma. Sergei und Natalia versuchen alles, um ihre Tochter wieder ins Leben zurückzuholen. Und suchen gleichzeitig nach einem Weg, um doch noch in Schweden bleiben zu können. (Filmfest Hamburg 2024)

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„QUIET LIFE ist ein ruhiger Film und ein stiller Aufschrei, großartig inszeniert und beeindruckend gespielt. Am Ende mag die Menschlichkeit siegen, doch hier ist sie hart und leidvoll errungen.“ (Britta Schmeis, epd-film.de)
„Diesmal ist es nicht die Spindel der bösen Hexe, sondern die unbarmherzige Bürokratie, die ein junges Mädchen in einen Dornröschenschlaf versetzt. Der Film QUIET LIFE erzählt die Geschichte einer russischen Flüchtlingsfamilie, die sich in Schweden um ihre Aufenthaltserlaubnis bemüht. In seinem distanziert-kühlen Drama zeichnet der griechische Regisseur Alexandros Avranas ein eindrucksvolles Bild des schwedischen Migrationssystems und beleuchtet dabei insbesondere das sogenannte Resignationssyndrom, das erstmals in den Neunzigerjahren dokumentiert wurde. Betroffen sind vor allem psychisch traumatisierte Kinder aus osteuropäischen Ländern, die als Reaktion auf die Belastungen des Migrationsprozesses in einen komatösen Zustand verfallen. Ihre Genesung kann Monate oder gar Jahre dauern und soll überhaupt nur möglich sein, wenn das Gefühl von Sicherheit innerhalb der Familie wiederhergestellt wird. Doch wie soll dies gelingen, wenn eine Abschiebung droht? Mit einer entrückten Atmosphäre und einem überzeugenden Ensemble fängt QUIET LIFE das verzweifelte Streben nach Normalität, Hoffnung und einem sicheren Leben ein.“ (Ulf Lepelmeier, filmstarts.de)
„Es ist unwahrscheinlich, dass QUIET LIFE in Russland gezeigt wird. Tschulpan Chamatowa verließ das Land nach Februar 2022. Sie lebt jetzt in Lettland und wurde in Russland wiederholt für ihre Äußerungen über Russland und den russisch-ukrainischen Konflikt kritisiert. Grigori Dobrygin, der bei der Berlinale den Silbernen Bären für seine Rolle in HOW I ENDED THIS SUMMER erhielt, lebt zwischen Berlin und Los Angeles. Im Jahr 2022 hat er sich offen für die Ukraine ausgesprochen. Doch wie ein Filmkritiker in Russland schrieb, spielt QUIET LIFE der russischen Propaganda in die Hände. Schließlich geht es darum, dass Russen, auch solche, die die russische Regierung kritisieren, im Westen nicht willkommen sind. Was sie dort erwartet, sind Bürokratie, Arbeitslosigkeit und andere Probleme. Gibt es dort überhaupt Hoffnung auf ein ruhiges Leben für sie? Das Finale des Films deutet es an.“ (Olga Silantjewa, mdz-moskau.eu)
Deutschland 2025, 111 min, deutsche Originalfassung
Regie: Kathrin Jahrreiß
Kathrin Jahrreiß geht dem Leben von drei sehr unterschiedlichen Brüdern nach: Einer machte bei den Nazis Karriere und behielt auch in der BRD einen hohen Status, ein anderer flüchtete in die USA und der dritte, ihr Opa, blieb nach der Ermordung seiner jüdischen Frau in Dresden, um nach dem Krieg als Anwalt einen Rechtsstaat mit aufzubauen – bis er von der Stasi rekrutiert wurde. Eine persönliche Spurensuche, die ein komplexes Bild einer deutsch-jüdischen Familie über drei Generationen in mehreren politischen Systemen zeichnet.
„Die Vergangenheit und Herkunft meines Vaters war für mich stets wie ein Buch mit leeren Seiten. Ich wollte besser verstehen, wie mein Vater der geworden ist, der er ist. Warum hat er so ein negatives Familienbild? Er habe noch ein ganz klares Bild von seinem Vater, erfahre ich. Es sei aber ‚der Vater von hinten‘. Dieses Bild kenne ich, auch ich sehe meinen Vater so vor mir, wenn ich an ihn denke. Wie kommen wir beide von unserem inneren Bild des ‚Vaters von hinten‘ los?
Durch den Fund der Briefe habe ich schnell gemerkt, dass auch die deutsche Zeitgeschichte viel damit zu tun hat, dass mein Vater keinen Familiensinn entwickeln konnte und die ganze Vergangenheit hinter dem Eisernen Vorhang lassen wollte. Mir wurde da zum ersten Mal klar, wie sehr die Zeitgeschichte unsere Biographien mitgestaltet, obwohl wir glauben, alles selbst in der Hand zu haben. Mit großem Erkenntnisinteresse fing ich an, in unserer Familienvergangenheit zu graben. Über mein persönliches Interesse hinaus erzählt die Geschichte der drei Brüder für mich exemplarisch das Universelle im Individuellen: jeder der drei Brüder stellt mit seiner Biographie als pars pro toto jeweils eine der Möglichkeiten dar, wie man in einem totalitären Regime überleben kann. Zerrissen zwischen ihren Entscheidungen, zwischen Flucht, Trotz und Kollaboration, laufen die Wege der Brüder auseinander, nachdem sie, gemeinsam in Dresden beim Vater aufgewachsen, im Ersten Weltkrieg noch an der gleichen Front gekämpft hatten.
Der Film erzählt dabei keine Heldengeschichte, sondern ist eher eine Art vielschichtige Tiefenbohrung, die versucht, die Protagonisten in ihrer Fehlbarkeit, ihrer Ambivalenz und Widersprüchlichkeit menschlich nahbar zu zeigen. Daraus ergibt sich die Frage nach Haltung und Moral in Zeiten existentieller Bedrohung durch eine Gewaltherrschaft. Der differenzierte Blick auf die Graustufen der damaligen Lebenswirklichkeit ist für mich der eigentliche Schlüssel zum Verständnis. Die vielen Briefe meiner Vorfahren haben mir diese Tür geöffnet und mir geholfen, die Perspektive zu wechseln und mir, anders als bei einer Draufsicht, die damalige Zeit aus Sicht der Betroffenen vorzustellen. Durch eine Betrachtung der Protagonisten in der Vielschichtigkeit ihrer damaligen Lebenswirklichkeit hatte ich das Gefühl, ihnen am ehesten gerecht werden zu können. So entstand für mich eine Nahbarkeit, in der ich mich auch selbst spiegeln konnte: Was hätte ich wohl getan, damals? Was würde ich heute tun, käme eine Diktatur an die Macht? Das Land verlassen, mich dagegen stellen oder versuchen möglichst unbeschadet durchzukommen?
Der biographischen Prägung durch die politische Zeitgeschichte kann sich niemand entziehen und obwohl klar ist, dass sich viele Antworten auf Fragen der Gegenwart in der Vergangenheit finden, herrscht innerfamiliär oft eine große Sprachlosigkeit zwischen den Generationen. Wieviel die Herkunft und
Vergangenheit mit dem eigenen Leben zu tun haben versteht man möglicherweise aber auch erst so richtig, wenn man selbst schon etwas älter ist. Ich vermute, dass in fast allen deutschen Familien noch Kisten im Keller stehen, die unausgepackt geblieben sind. Viele Geschichten sind noch nicht erzählt worden und wenn wir jetzt nicht fragen, nehmen sie unsere Eltern am Ende mit ins Grab… Als Vater und Tochter schauen wir aus dem Heute als zweite und dritte Generation auf die Geschichte: er ist mit Verdrängung aufgewachsen und fremdelt mit Verwandtschaft und Familie. Ich aber möchte alles wissen und meiner Oma ein Denkmal setzen, denn ich finde, erst wenn man vergessen wird, ist man wirklich gestorben.
Mein Vater war von Anfang an bereit, mein Filmprojekt zu unterstützen, bedauerte dabei aber stets, mir nicht helfen zu können, da er kaum etwas wisse. Manchmal ließ er dann beiläufig und scheinbar unbewusst eine wichtige Information fallen, wie ein Puzzleteilchen, das ich eifrig aufhob, um es in mein 1000-Teile Puzzle einzuordnen.
Als ich ihm meine Rechercheergebnisse präsentierte und mit ihm zu den früheren Schauplätzen fuhr, schien er immer mehr Neugier auf seine eigene Geschichte zu entwickeln. Dass er sich eingelassen hat auf diese Reise und auf seine Tochter als ‚Reiseleiterin‘ war ein großes Glück für mich, für uns beide vielleicht.“ (Regiestatement)
Di. 06.05.
19:15 Uhr
Bunker – Die letzten Tage
– mit anschließendem Filmgespräch | zu Gast: Martina Reuter und Gavin Hodge (Regie), Frieder Salm (Kamera) | Einführung und Moderation: Dietmar Arnold (Berliner Unterwelten e.V.) | eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Kulturforum östliches Europa und den Berliner UnterweltenMartina Reuter, Gavin Hodge
Deutschland / Schweiz 2002/2003, 82 min, deutsche Originalfassung
Einführung und Moderation
- Dietmar Arnold, Berliner Unterwelten e. V.
Gespräch
- Martina Reuter, Regisseurin
- Gavin Hodge, Regisseur
- Frieder Salm, Kamera
zum Film:
Regie: Martina Reuter, Gavin Hodge
Der Dokumentarfilm gewährt Einblicke in das ab 1940 erbaute unterirdische Bunkerlabyrinth in Berlin, einen Schutzraum, der das Überleben vieler Menschen während des Zweiten Weltkrieges sicherstellte und der noch heute großteils existiert. Durch den Film führen drei Zeitzeugen, deren Geschichten der Film textlich unkommentiert wiedergibt. Illustriert werden ihre Erzählungen durch Spielfilmsequenzen, nachinszenierte Fotosequenzen, Propagandafilmausschnitte und Wochenschaumaterial. Dokumentarisches, fiktives, nachgestelltes und propagandistisches Filmmaterial wird so zu einer vielschichtigen Collage.
Eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Kulturforums östliches Europa und den Berliner Unterwelten
Vorführung und Gespräch im Rahmen der Reihe „80 Jahre Ende des Zweiten Weltkriegs“
Die weiteren Termine der Reihe: https://kulturforum.info/de/termine/veranstaltungen/1024617-bunker-die-letzten-tage
Mi. 07.05.
10:00 Uhr
Spatzenkino – Die wilde Farm
– nur mit Voranmeldung! | reservierung@spatzenkino.de | Service-Telefon 449 47 50
Episoden aus dem Dokumentarfilm
Kaum ist der Bauer weg, verlassen seine Tiere ihre Ställe und erkunden eigenständig Haus und Hof. Die Schweine finden schnell das leckere Gemüsebeet. Ein schwarzes Huhn legt im alten Auto sein erstes Ei und ein Fohlen erblickt das Licht der Welt.
Regie: Dominique Garing; Frédéric Goupil, FR 2010, Dokumentarfilm, 2 Episoden (14 Min. + 23 Min.)
Mi. 07.05.
16:30 Uhr
UNSERE KINDER
, OmeU – JFBB Jüdisches Filmfestival Berlin BrandenburgRoland Steiner
JFBB Sektion: BRUCH ODER KONTINUITÄT? “ANTIZIONISMUS” UND ANTISEMITISMUS IM SOZIALISMUS UND DANACH. TEIL II: ANTISEMITISMUS IM POSTSOZIALISMUS
Roland Steiner, DDR 1989, 88 min, OmeU, Dokumentarfilm
Originalsprache: Deutsch
Roland Steiner sprach in seiner kurz vor dem Mauerfall gedrehten Dokumentation ein politisches Tabu-Thema in der DDR an: junge Leute, die zu sogenannten „Randgruppen“ bzw. „Hooligans“ gezählt wurden. Das warf Fragen auf: Warum waren rechtsextreme Verhaltensmuster – Antisemitismus inbegriffen – für jugendliche Subkulturen des „antifaschistischen Staates“ so attraktiv?
Mi. 07.05.
18:15 Uhr
TALK mit Anetta Kahane über Rassismus und Antisemitismus im Ostdeutschland der „Wende“-Jahre
– JFBB Jüdisches Filmfestival Berlin Brandenburg | EINTRITT FREI
Anetta Kahane war die erste und letzte Ausländerbeauftragte des Ost-Berliner Magistrats. Nach der Wiedervereinigung baute sie die Regionale Arbeitsstelle für Ausländerfragen in Berlin mit auf, Ende 1998 initiierte sie die Amadeu-Antonio-Stiftung. Heute ist sie Autorin und Publizistin. JFBB-Programmdirektor Bernd Buder spricht mit Anetta Kahane über Rassismus und Antisemitismus im Ostdeutschland der „Wende“-Jahre. Warum wurde Antisemitismus in der DDR und im Postsozialismus so gut wie gar nicht adressiert?
Sprache: Deutsch
Mi. 07.05.
20:00 Uhr
HERR ZWILLING UND FRAU ZUCKERMANN
, OmeU – JFBB Jüdisches Filmfestival Berlin BrandenburgVolker Koepp
JFBB Sektion: BRUCH ODER KONTINUITÄT? “ANTIZIONISMUS” UND ANTISEMITISMUS IM SOZIALISMUS UND DANACH. TEIL II: ANTISEMITISMUS IM POSTSOZIALISMUS
Volker Koepp, DE 1999,126 min, OmeU, Dokumentarfilm
Originalsprache: Deutsch, Hebräisch, Jiddisch, Russisch, Ukrainisch
Täglich besucht Herr Zwilling die 90-jährige Frau Zuckermann. Man spricht über das gemeinsam Erlebte, über Politik und Literatur. Beide kommen aus Czernowitz, einst Zentrum jüdischer Kultur im Westen der Ukraine – bis 1941. Damit verknüpft werden Episoden jüdischer Erfahrungen im Czernowitz der späten 1990er-Jahre, nach dem Ende der Sowjetunion.
Czernowitz liegt in der Bukowina, einer Grenzlandschaft, die über die Jahrhunderte vom Vielvölkergemisch geprägt war. Die jüdische Bevölkerung machte zeitweilig die Hälfte der Einwohnerschaft aus, es überlebten nur wenige die von Deutschen und Rumänen 1941 verordnete Deportation in die Lager Transnistriens. Im Mittelpunkt von Volker Koepps Film aus dem Jahr 1999 stehen Herr Zwilling und Frau Zuckermann, die zu den letzten noch im alten Czernowitz geborenen Jüdinnen und Juden gehörten. Beide verbindet neben ihrer Freundschaft nicht zuletzt die deutsche Sprache. Täglich besucht Herr Zwilling in den Abendstunden die 90-jährige Frau Zuckermann. Man spricht über frühere Zeiten und die alltäglichen Sorgen. In den Lebensgeschichten dieser beiden Menschen steckt das Elend des 20. Jahrhunderts. Mit ihren Erinnerungen verknüpft der Film Episoden aus dem jüdischen Leben im Czernowitz nach dem Zerfall der Sowjetunion Ende der 1990er-Jahre.
Angesichts des wieder zunehmenden Antisemitismus in ganz Europa hat Koepps filmisches Meisterwerk auch über 20 Jahre nach seiner Uraufführung nichts von seiner Aussagekraft und Gültigkeit verloren.
Czernowitz ist eine der wenigen ukrainischen Großstädte, die seit dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 noch nicht von russischen Truppen angegriffen wurde und gilt derzeit als Zufluchtsort für ukrainische Binnengeflüchtete.
Text: https://salzgeber.de/zwillingzuckermann, bearbeitet von Charlotte Kühn
Do. 08.05.
15:00 Uhr
BLUM: MASTERS OF THEIR OWN DESTINY
, OmdU + OmeU – JFBB Jüdisches Filmfestival Berlin BrandenburgJasmila Žbanić
JFBB Sektion: WETTBEWERB DOKUMENTARFILM
Jasmila Žbanić, BA 2024, 75 min, OmU (Englisch + Deutsch), Dokumentarfilm
Originalsprache: Bosnisch, Serbo-kroatisch, Deutsch
Emerik Blum, geboren in Sarajevo, Shoa-Überlebender, gründete 1951 „Energoinvest“. Damit startete der Unternehmer eine der erfolgreichsten internationalen Firmengeschichten des damaligen sozialistischen Jugoslawiens. Das Erfolgsrezept: Menschen, Arbeiterselbstverwaltung und Innovation. Eine ungewöhnliche Lebensgeschichte und Firmenkarriere zwischen Ost und West, die heute sehr nachdenklich macht.
Wann immer Blum nach dem Erfolgsrezept „seines“ Mischkonzerns gefragt wurde, hieß es im ersten Satz der Antwort: „Das ist nicht meine Firma“. Er legte Wert auf das jugoslawische Modell der Arbeiterselbstverwaltung, bei denen Arbeiterräte die Strategie ihrer Firmen mitbestimmten und die Direktor:innen wählten. Damit dies bestmöglich klappen konnte, investierte Energoinvest viel in die Ausbildung der Belegschaft, was auch der gesellschaftlichen Entwicklung des im Zweiten Weltkrieg völlig zerstörten Bosniens half. Zum Fairness- und Chancengleichheitsgebot gehörte auch eine hohe Frauenquote in der Belegschaft und die Gleichbezahlung von Frauen und Männern.
Jasmila Žbanić versammelt in ihrem Dokumentarfilm Interviews mit Zeitgenoss:innen, Archivmaterial und Ausschnitte aus Fernsehinterviews, um an Blum und das Modell der jugoslawischen Arbeiterselbstverwaltung zu erinnern. Als größtes Kapital der Firma bezeichnete er „die Menschen“, was manche mit Blums Erfahrungen aus den Konzentrationslagern der Ustaša erklären, in der er seine gesamte Familie verlor. Und die auch dazu führte, dass Energoinvest der einzige Konzern in Jugoslawien war, wo es keinen Mercedes als Dienstfahrzeug gab.
Ob er mit „einem Generaldirektoren in West oder Ost“ tauschen wolle, wurde Blum einmal gefragt, worauf er antwortete, dass es ihm weniger um Geld und Gewinn ginge als um die Entwicklung der Gesellschaft. Eingebettet in Josip Broz Titos Initiative der Blockfreien-Bewegung, einem Zusammenschluss von Staaten vor allem des globalen Südens, die während des Kalten Krieges weder von Moskau noch von Washington abhängig sein wollten, wurde Ernergoinvest zu einem weltweit führenden Energiekonzern. Für die interne Kommunikation entwickelte man 1988 sogar ein eigenes E‑Mail-System. Nach seiner Pensionierung wurde Blum in den 1980er-Jahren zum Bürgermeister von Sarajevo berufen, um mit seiner Erfahrung zu einer bestmöglichen Organisation der Olympischen Winterspiele 1984 zu sorgen. Die, im Gegensatz zu den Sommerspielen 1980 in Moskau und 1984 in Los Angeles, weder von der Sowjetunion noch von den USA boykottiert wurden.
Beides – die diplomatische Initiative der Blockfreien-Bewegung und das basisdemokratische Modell der Belegschafts-Selbstverwaltung – fast vergessen. BLUM bringt sie wieder auf den Tisch.
Text: Bernd Buder
Do. 08.05.
17:00 Uhr
Double Feature: RESENTMENT + NEW TIME, NEW LUCK
, OmeU – JFBB Jüdisches Filmfestival Berlin BrandenburgGleb Osatinski | Haim Tchelet
JFBB Sektion: BRUCH ODER KONTINUITÄT? “ANTIZIONISMUS” UND ANTISEMITISMUS IM SOZIALISMUS UND DANACH. TEIL II: ANTISEMITISMUS IM POSTSOZIALISMUS
RESENTMENT
Gleb Osatinski, US/LT 2024, 30 min, OmeU
Originalsprache: Ukrainisch, Russisch
1990, irgendwo in der Ukraine. Die Sowjetunion zerfällt gerade, der 17-jährige Yasha trotzt gegen Eltern, Schule und Gesellschaft an. Doch die mag ihn nicht – weil er mit seiner Band die falsche Musik spielt, und, weil er Jude ist.
Yasha ist ein typischer Teenager: Bock auf Rock, oder mehr noch auf Punk, erste Liebe, Wut im Bauch, Testosteron im Blut und die Zukunft im Kopf. Die soll besser werden als die Gegenwart in der heimischen Plattenbausiedlung: New York steht auf dem Plan. Yasha bricht schon die Brücken hinter sich ab, noch bevor er das andere Ufer erreicht hat. Von den Mitschüler:innen wird er gemobbt: der Außenseiter, der Fremde, der Kosmopolit, der Jude. Als sein Vater ihm eröffnet, dass die USA gar keine Option mehr sind und er in der Stadt bleiben muss, die ihm weder Heimat noch Schutz bietet, rastet er aus.
Text: Bernd Buder
NEW TIME, NEW LUCK
Haim Tchelet, IL 1991, 56 min, OmeU, Dokumentarfilm
Originalsprache: Hebräisch
Riga 1990: 20 Jahre, nachdem er die Sowjetunion verlassen hat, kehrt der Regisseur Haim Tchelet in seine alte Heimat zurück. Wie hat sich die Situation für Jüdinnen und Juden unter dem Eindruck von Glasnost und Perestroika verändert? Ein Zeitdokument.
1990 gehört Lettland noch zur Sowjetunion, gerade noch. Die Reformen der Regierung Gorbatschow geben in aller Welt Anlass für Optimismus. Tchelet reist im Mai 1990 nach Riga und trifft auf Jüdinnen und Juden, die zwar Hoffnung auf eine bessere Zukunft haben, aber nicht viel Vertrauen in diese. Er filmt in Synagogen, Schulen und auf der Straße, in Wohnzimmern und Gemeindezentren. Portraitiert einen jüdischen Alltag, der auf dem Weg ist, ein Teil gesellschaftlicher Normalität zu werden. Scheinbar. Denn die Traumata der Vergangenheit, die Erfahrungen der Shoa und des Antisemitismus während des Sozialismus sitzen tief. Das Zusammenwirken von „antizionistischer“ Propaganda in der Politik und tradierter Judenfeindschaft in der Gesellschaft, die Vernachlässigung jeglicher Erinnerungsarbeit in der UdSSR, die Angst davor, offen zu sagen, dass man Jüdin:Jude ist, haben sich tief ins jüdische Bewusstsein eingegraben. Die Befragten erzählen, dass es jetzt im Baltikum immerhin besser sei, als in Russland. Eine Bestandsaufnahme aus dem Umbruchsjahr 1990, noch vor der großen Ausreisewelle von Jüdinnen und Juden in Richtung Westen.
Do. 08.05.
19:00 Uhr
CLOSENESS
, OmdU + OmeU – JFBB Jüdisches Filmfestival Berlin BrandenburgKantemir Balagov
JFBB Sektion: BRUCH ODER KONTINUITÄT? “ANTIZIONISMUS” UND ANTISEMITISMUS IM SOZIALISMUS UND DANACH. TEIL II: ANTISEMITISMUS IM POSTSOZIALISMUS
Kantemir Balagov, RU 2017, 118 min, OmU (Englisch + Deutsch), Spielfilm
Originalsprache: Russisch
Besetzung: Darya Zhovner, Olga Dragunova, Artem Tsypin
Die selbstbewusste Ilana würde gerne ihr Leben lang an Autos herumschrauben. Aber die jüdische Gemeinschaft in Kabardino-Balkarien gerät unter den Druck von Islamisten – als ihr Bruder entführt wird, soll sie ihr freies Leben aufgeben, um Lösegeldforderungen zu begleichen. In seinem Debütfilm zeigt Kantemir Balagov, wie eine feindliche Gesellschaft die Familie zur Flucht treibt.
Eigentlich ist Ilana zufrieden. In der Autowerkstatt fühlt sie sich pudelwohl und um den konservativen Lebensentwurf kümmert sich ihr Bruder David, der sich schon früh verlobt – mit einer Jüdin, wie es die kleine Gemeinde vor Ort von ihm erwartet. Ilana hingegen trifft sich lieber heimlich mit ihrem muslimischen Freund zum Saufen, Fummeln und Kiffen.
Aber das Leben ist unbarmherzig in der Kleinstadt Naltschik in der südrussischen Region Karbadino-Balkarien im Nordkaukasus. David und seine Verlobte werden entführt und die versammelte Gemeinde kann das Lösegeld nicht aufbringen. Aber wenn die Werkstatt verkauft und Ilana gewinnbringend heiraten würde, könnte es reichen. Wird die eigensinnige junge Frau zugunsten ihrer Familie ihre Lebenspläne aufgeben?
In langen Szenen und Plansequenzen mit intensiver Farbsymbolik, in denen oft mehr geschwiegen als gesprochen wird, nutzt Balagov teils drastische Bilder, um den Druck aufzuzeigen, der von der immer feindseliger eingestellten, gewaltbereiten Mehrheitsgesellschaft auf die jüdische Minderheit ausgeübt wird. Balagovs Film, der Ende der 1990er-Jahre spielt, ist von einer wahren Begebenheit inspiriert.
Text: Rainer Mende
Deutschland 2025, 111 min, deutsche Originalfassung
Regie: Kathrin Jahrreiß
Kathrin Jahrreiß geht dem Leben von drei sehr unterschiedlichen Brüdern nach: Einer machte bei den Nazis Karriere und behielt auch in der BRD einen hohen Status, ein anderer flüchtete in die USA und der dritte, ihr Opa, blieb nach der Ermordung seiner jüdischen Frau in Dresden, um nach dem Krieg als Anwalt einen Rechtsstaat mit aufzubauen – bis er von der Stasi rekrutiert wurde. Eine persönliche Spurensuche, die ein komplexes Bild einer deutsch-jüdischen Familie über drei Generationen in mehreren politischen Systemen zeichnet.
„Die Vergangenheit und Herkunft meines Vaters war für mich stets wie ein Buch mit leeren Seiten. Ich wollte besser verstehen, wie mein Vater der geworden ist, der er ist. Warum hat er so ein negatives Familienbild? Er habe noch ein ganz klares Bild von seinem Vater, erfahre ich. Es sei aber ‚der Vater von hinten‘. Dieses Bild kenne ich, auch ich sehe meinen Vater so vor mir, wenn ich an ihn denke. Wie kommen wir beide von unserem inneren Bild des ‚Vaters von hinten‘ los?
Durch den Fund der Briefe habe ich schnell gemerkt, dass auch die deutsche Zeitgeschichte viel damit zu tun hat, dass mein Vater keinen Familiensinn entwickeln konnte und die ganze Vergangenheit hinter dem Eisernen Vorhang lassen wollte. Mir wurde da zum ersten Mal klar, wie sehr die Zeitgeschichte unsere Biographien mitgestaltet, obwohl wir glauben, alles selbst in der Hand zu haben. Mit großem Erkenntnisinteresse fing ich an, in unserer Familienvergangenheit zu graben. Über mein persönliches Interesse hinaus erzählt die Geschichte der drei Brüder für mich exemplarisch das Universelle im Individuellen: jeder der drei Brüder stellt mit seiner Biographie als pars pro toto jeweils eine der Möglichkeiten dar, wie man in einem totalitären Regime überleben kann. Zerrissen zwischen ihren Entscheidungen, zwischen Flucht, Trotz und Kollaboration, laufen die Wege der Brüder auseinander, nachdem sie, gemeinsam in Dresden beim Vater aufgewachsen, im Ersten Weltkrieg noch an der gleichen Front gekämpft hatten.
Der Film erzählt dabei keine Heldengeschichte, sondern ist eher eine Art vielschichtige Tiefenbohrung, die versucht, die Protagonisten in ihrer Fehlbarkeit, ihrer Ambivalenz und Widersprüchlichkeit menschlich nahbar zu zeigen. Daraus ergibt sich die Frage nach Haltung und Moral in Zeiten existentieller Bedrohung durch eine Gewaltherrschaft. Der differenzierte Blick auf die Graustufen der damaligen Lebenswirklichkeit ist für mich der eigentliche Schlüssel zum Verständnis. Die vielen Briefe meiner Vorfahren haben mir diese Tür geöffnet und mir geholfen, die Perspektive zu wechseln und mir, anders als bei einer Draufsicht, die damalige Zeit aus Sicht der Betroffenen vorzustellen. Durch eine Betrachtung der Protagonisten in der Vielschichtigkeit ihrer damaligen Lebenswirklichkeit hatte ich das Gefühl, ihnen am ehesten gerecht werden zu können. So entstand für mich eine Nahbarkeit, in der ich mich auch selbst spiegeln konnte: Was hätte ich wohl getan, damals? Was würde ich heute tun, käme eine Diktatur an die Macht? Das Land verlassen, mich dagegen stellen oder versuchen möglichst unbeschadet durchzukommen?
Der biographischen Prägung durch die politische Zeitgeschichte kann sich niemand entziehen und obwohl klar ist, dass sich viele Antworten auf Fragen der Gegenwart in der Vergangenheit finden, herrscht innerfamiliär oft eine große Sprachlosigkeit zwischen den Generationen. Wieviel die Herkunft und
Vergangenheit mit dem eigenen Leben zu tun haben versteht man möglicherweise aber auch erst so richtig, wenn man selbst schon etwas älter ist. Ich vermute, dass in fast allen deutschen Familien noch Kisten im Keller stehen, die unausgepackt geblieben sind. Viele Geschichten sind noch nicht erzählt worden und wenn wir jetzt nicht fragen, nehmen sie unsere Eltern am Ende mit ins Grab… Als Vater und Tochter schauen wir aus dem Heute als zweite und dritte Generation auf die Geschichte: er ist mit Verdrängung aufgewachsen und fremdelt mit Verwandtschaft und Familie. Ich aber möchte alles wissen und meiner Oma ein Denkmal setzen, denn ich finde, erst wenn man vergessen wird, ist man wirklich gestorben.
Mein Vater war von Anfang an bereit, mein Filmprojekt zu unterstützen, bedauerte dabei aber stets, mir nicht helfen zu können, da er kaum etwas wisse. Manchmal ließ er dann beiläufig und scheinbar unbewusst eine wichtige Information fallen, wie ein Puzzleteilchen, das ich eifrig aufhob, um es in mein 1000-Teile Puzzle einzuordnen.
Als ich ihm meine Rechercheergebnisse präsentierte und mit ihm zu den früheren Schauplätzen fuhr, schien er immer mehr Neugier auf seine eigene Geschichte zu entwickeln. Dass er sich eingelassen hat auf diese Reise und auf seine Tochter als ‚Reiseleiterin‘ war ein großes Glück für mich, für uns beide vielleicht.“ (Regiestatement)
Fr. 09.05.
18:00 Uhr
BOGDAN’S JOURNEY // BOGDANS REISE
, OmdU + OmeU – JFBB Filmfestival Berlin BrandenburgMichal Jaskulski, Lawrence Loewinger
JFBB Sektion: BRUCH ODER KONTINUITÄT? “ANTIZIONISMUS” UND ANTISEMITISMUS IM SOZIALISMUS UND DANACH. TEIL II: ANTISEMITISMUS IM POSTSOZIALISMUS
Michal Jaskulski, Lawrence Loewinger, PL/US 2016, 90 min, OmU (Englisch + Deutsch), Dokumentarfilm
Originalsprache: Polnisch, Englisch, Hebräisch
Das antisemitische Pogrom von 1946 in Kielce würden viele Einwohner*innen der mittelpolnischen Stadt gern vergessen. Aber der Psychologe Bogdan Białek reißt die alten Wunden auf, um eine Aufarbeitung zu ermöglichen. Der Film begleitet ihn, während er mit inneren und äußeren Widerständen kämpft.
Das größte Pogrom im Nachkriegspolen fand am 4. Juli 1946 in Kielce statt. Damals wurden über 40 Überlebende der Shoah getötet und 80 weitere verletzt, von den Menschen in Kielce. Im kommunistischen Polen wurde das Massaker totgeschwiegen – aber es wurde nie vergessen.
Nach 1989 beginnt der Journalist und Psychologe Bogdan Białek, offen über die Ereignisse zu sprechen. Mit großem Engagement bringt er in jahrelanger Kleinarbeit die Einwohner:innen seiner Heimatstadt dazu, sich ihrer Vergangenheit zu stellen. Mit immer mehr Verbündeten kämpft er gegen das Verdrängen und Vorurteile, initiiert Bildungsinitiativen und knüpft Verbindungen zwischen den heutigen Einwohner:innen von Kielce sowie Jüdinnen und Juden, die früher hier lebten.
Über zehn Jahre lang dokumentierten ein polnisch-katholischer und ein amerikanisch-jüdischer Regisseur Białeks Bemühungen, „die Wahrheit mit Liebe auszusprechen“. Mit der Dokumentation zahlreicher Bürger:innendiskussionen wird der Film auch zu einem wichtigen Zeitdokument: Wie hat sich die Sicht auf die Ereignisse verändert, welche Emotionen kommen zwischen Verdrängung und Verantwortung auf und welche Narrative entstehen in diesem Spannungsfeld?
Text: Rainer Mende
Fr. 09.05.
20:00 Uhr
SECRET // DAS GEHEIMNIS
, OmdU + OmeU – JFBB Jüdisches Filmfestival Berlin BrandenburgPrzemysław Wojcieszek
JFBB Sektion: BRUCH ODER KONTINUITÄT? “ANTIZIONISMUS” UND ANTISEMITISMUS IM SOZIALISMUS UND DANACH. TEIL II: ANTISEMITISMUS IM POSTSOZIALISMUS
Przemysław Wojcieszek, PL 2012, 82 min, OmU (Englisch + Deutsch), Spielfilm
Originalsprache: Polnisch
Besetzung: Tomasz Tyndyk, Agnieszka Podsiadlik, Marek Kepinski
Ksawery ist schwul, Karolina Jüdin. Die beiden besuchen Ksawerys Großvater Jan auf dem Land. Ein wunderschönes Haus am See, Idylle. Doch es verbirgt ein düsteres Geheimnis, über das Jan, der Nationalist, nicht sprechen will. Karolina schon. Eine komplexe Familienaufstellung, eine wütend-zärtliche Metapher.
Früher gehörte das Haus, in dem Jan jetzt wohnt, Tzvika Aigerman. Der hat die Shoa überlebt und wollte eigentlich in sein Haus zurückkehren, doch er verschwand spurlos. Jan hat nie über diese Zeit gesprochen, nicht während des Sozialismus, und auch nicht danach. Als Karolina versucht, ihn zur Rede zu stellen, reagiert er wütend. Und auch Ksawery will eigentlich nicht über die Vergangenheit reden: sein Großvater ist sein Großvater, die beiden lieben sich, auch wenn Jan aus politischen Gründen für Schwule gar nichts übrig hat, für seinen Enkel aber schon.
Film- und Theaterregisseur Przemysław Wojcieszek spielt mit seinem sechsten Spielfilm auf den Wunsch vieler Pol:innen an, den polnischen Antisemitismus während und nach dem Zweiten Weltkrieg unter den Teppich zu kehren. Die Thematisierung von Nachkriegs-Pogromen wie etwa dem von Kielce, bei dem 1946 über 40 Jüdinnen und Juden ermordet wurden, führt bis heute zu „Nestbeschmutzer“-Vorwürfen, wie Michal Jaskulskis und Lawrence Loewingers Dokumentation BOGDANS REISE (ebenfalls im Programm des JFBB 2025) zeigt. Die familiäre Zuneigung zwischen Jan und Ksawery macht den Streit nicht einfacher: wechselseitig wird immer ein anderer zum Außenseiter in dieser toxischen Dreierbeziehung.
Über einen Streit, der weh tut, aber keinen heilt. Weil die Wahrheit, die hier niemand kennt oder niemand kennen will oder niemand zu kennen glaubt, von Anfang an hinter einem komplexen Geflecht aus Spekulationen und Vorwürfen, Schönreden und Verschweigen verloren gegangen ist.
Text: Bernd Buder
Deutschland 2025, 111 min, deutsche Originalfassung
Regie: Kathrin Jahrreiß
Kathrin Jahrreiß geht dem Leben von drei sehr unterschiedlichen Brüdern nach: Einer machte bei den Nazis Karriere und behielt auch in der BRD einen hohen Status, ein anderer flüchtete in die USA und der dritte, ihr Opa, blieb nach der Ermordung seiner jüdischen Frau in Dresden, um nach dem Krieg als Anwalt einen Rechtsstaat mit aufzubauen – bis er von der Stasi rekrutiert wurde. Eine persönliche Spurensuche, die ein komplexes Bild einer deutsch-jüdischen Familie über drei Generationen in mehreren politischen Systemen zeichnet.
„Die Vergangenheit und Herkunft meines Vaters war für mich stets wie ein Buch mit leeren Seiten. Ich wollte besser verstehen, wie mein Vater der geworden ist, der er ist. Warum hat er so ein negatives Familienbild? Er habe noch ein ganz klares Bild von seinem Vater, erfahre ich. Es sei aber ‚der Vater von hinten‘. Dieses Bild kenne ich, auch ich sehe meinen Vater so vor mir, wenn ich an ihn denke. Wie kommen wir beide von unserem inneren Bild des ‚Vaters von hinten‘ los?
Durch den Fund der Briefe habe ich schnell gemerkt, dass auch die deutsche Zeitgeschichte viel damit zu tun hat, dass mein Vater keinen Familiensinn entwickeln konnte und die ganze Vergangenheit hinter dem Eisernen Vorhang lassen wollte. Mir wurde da zum ersten Mal klar, wie sehr die Zeitgeschichte unsere Biographien mitgestaltet, obwohl wir glauben, alles selbst in der Hand zu haben. Mit großem Erkenntnisinteresse fing ich an, in unserer Familienvergangenheit zu graben. Über mein persönliches Interesse hinaus erzählt die Geschichte der drei Brüder für mich exemplarisch das Universelle im Individuellen: jeder der drei Brüder stellt mit seiner Biographie als pars pro toto jeweils eine der Möglichkeiten dar, wie man in einem totalitären Regime überleben kann. Zerrissen zwischen ihren Entscheidungen, zwischen Flucht, Trotz und Kollaboration, laufen die Wege der Brüder auseinander, nachdem sie, gemeinsam in Dresden beim Vater aufgewachsen, im Ersten Weltkrieg noch an der gleichen Front gekämpft hatten.
Der Film erzählt dabei keine Heldengeschichte, sondern ist eher eine Art vielschichtige Tiefenbohrung, die versucht, die Protagonisten in ihrer Fehlbarkeit, ihrer Ambivalenz und Widersprüchlichkeit menschlich nahbar zu zeigen. Daraus ergibt sich die Frage nach Haltung und Moral in Zeiten existentieller Bedrohung durch eine Gewaltherrschaft. Der differenzierte Blick auf die Graustufen der damaligen Lebenswirklichkeit ist für mich der eigentliche Schlüssel zum Verständnis. Die vielen Briefe meiner Vorfahren haben mir diese Tür geöffnet und mir geholfen, die Perspektive zu wechseln und mir, anders als bei einer Draufsicht, die damalige Zeit aus Sicht der Betroffenen vorzustellen. Durch eine Betrachtung der Protagonisten in der Vielschichtigkeit ihrer damaligen Lebenswirklichkeit hatte ich das Gefühl, ihnen am ehesten gerecht werden zu können. So entstand für mich eine Nahbarkeit, in der ich mich auch selbst spiegeln konnte: Was hätte ich wohl getan, damals? Was würde ich heute tun, käme eine Diktatur an die Macht? Das Land verlassen, mich dagegen stellen oder versuchen möglichst unbeschadet durchzukommen?
Der biographischen Prägung durch die politische Zeitgeschichte kann sich niemand entziehen und obwohl klar ist, dass sich viele Antworten auf Fragen der Gegenwart in der Vergangenheit finden, herrscht innerfamiliär oft eine große Sprachlosigkeit zwischen den Generationen. Wieviel die Herkunft und
Vergangenheit mit dem eigenen Leben zu tun haben versteht man möglicherweise aber auch erst so richtig, wenn man selbst schon etwas älter ist. Ich vermute, dass in fast allen deutschen Familien noch Kisten im Keller stehen, die unausgepackt geblieben sind. Viele Geschichten sind noch nicht erzählt worden und wenn wir jetzt nicht fragen, nehmen sie unsere Eltern am Ende mit ins Grab… Als Vater und Tochter schauen wir aus dem Heute als zweite und dritte Generation auf die Geschichte: er ist mit Verdrängung aufgewachsen und fremdelt mit Verwandtschaft und Familie. Ich aber möchte alles wissen und meiner Oma ein Denkmal setzen, denn ich finde, erst wenn man vergessen wird, ist man wirklich gestorben.
Mein Vater war von Anfang an bereit, mein Filmprojekt zu unterstützen, bedauerte dabei aber stets, mir nicht helfen zu können, da er kaum etwas wisse. Manchmal ließ er dann beiläufig und scheinbar unbewusst eine wichtige Information fallen, wie ein Puzzleteilchen, das ich eifrig aufhob, um es in mein 1000-Teile Puzzle einzuordnen.
Als ich ihm meine Rechercheergebnisse präsentierte und mit ihm zu den früheren Schauplätzen fuhr, schien er immer mehr Neugier auf seine eigene Geschichte zu entwickeln. Dass er sich eingelassen hat auf diese Reise und auf seine Tochter als ‚Reiseleiterin‘ war ein großes Glück für mich, für uns beide vielleicht.“ (Regiestatement)
Sa. 10.05.
17:00 Uhr
Double Feature: SCHALOM, NEUES DEUTSCHLAND – JUDEN IN DER DDR + CHRONIK EINER RÜCKKEHR: LEBENSWEGE DEUTSCHER JUDEN IN DER DDR
, OF deutsch – JFBB Jüdisches Filmfestival Berlin BrandenburgTom Franke, Mark Chaet, Lutz Rentner | Martin Pátek
JFBB Sektion: BRUCH ODER KONTINUITÄT? “ANTIZIONISMUS” UND ANTISEMITISMUS IM SOZIALISMUS UND DANACH. TEIL II: ANTISEMITISMUS IM POSTSOZIALISMUS
SCHALOM, NEUES DEUTSCHLAND – JUDEN IN DER DDR
Tom Franke, Mark Chaet, Lutz Rentner, DE 2018, 45 min, OV
Originalsprache: Deutsch
Der Faschismus, und damit auch der Antisemitismus, galten in der DDR als „mit Stumpf und Stiel“ ausgerottet. Nach 1945 dorthin zurückgekehrte kommunistische Juden und Jüdinnen sprechen über ihre oft ambivalenten Erfahrungen, darunter „Pankow“-Sänger André Herzberg.
Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Shoa spielte in der DDR eine untergeordnete Rolle. SCHALOM, NEUES DEUTSCHLAND stellt die Biografien und die emotionalen Schilderungen der Protagonisten in den Vordergrund und zeigt, wie Juden in der DDR gelebt und gefühlt haben – als Kommunist und Jude oder als Kommunist oder Jude?
Salomea Genin, die als junge Kommunistin mit vielen Illusionen in die DDR kam, hoffte auch durch die Arbeit in der jüdischen Gemeinde etwas ändern zu können. Auch für den Schriftsteller und Journalisten Walter Kaufmann war die DDR Wahlheimat. Er findet erst spät zu seinen jüdischen Wurzeln zurück. Werner Lappe aus Dresden kommt mit seinen Eltern aus dem englischen Exil in die DDR. Er fühlt sich als sogenannter „Drei-Tages-Jude“, der nur zu den großen jüdischen Feiertagen in die Synagoge geht. Der Rocksänger André Herzberg, der durch den Film führt, spürte die Zerrissenheit der Mutter, wenn sie sich zwischen der kommunistischen Überzeugung und der jüdischen Religion entscheiden sollte. Für ihn wurde die jüdische Identität nach der friedlichen Revolution 1989 ein neuer Anker. Auch der Musiker Karsten Troyke erlebte schon in seiner Schulzeit, wie Antifaschismus zwar als Staatsdoktrin galt, er im Alltag aber immer wieder mit antisemitischen Äußerungen konfrontiert war. Der Historiker Prof. Wolfgang Benz erläutert historische Zusammenhänge und ordnet diese im Rahmen der Antisemitismusforschung ein.
Text: Bernd Buder, bearbeitetes Material von Website von armadaFilm
CHRONIK EINER RÜCKKEHR: LEBENSWEGE DEUTSCHER JUDEN IN DER DDR
Martin Pátek, CZ/BRD/US 1993, 58 min, OV, Dokumentarfilm
Originalsprache: Deutsch
Ihre Familien waren vor den Nazis ins Ausland geflohen. Nach dem Krieg führte sie der Traum von einem besseren Deutschland zurück in die DDR. Während die sich 1989/1990 langsam auflöst, schildern sie vor der Kamera ihre Geschichten und ihre Sorge um die Zukunft.
Manche flohen vor den Nazis nach Frankreich, nach Großbritannien, in die USA oder die Sowjetunion, andere wurden im Exil oder nach dem Krieg geboren. Ihre Familien kehrten in die DDR zurück, weil sie von einem besseren Deutschland träumten – kommunistisch, friedlich, antifaschistisch – und auch frei von Antisemitismus.
Familien und Freund:innen waren verschwunden, aber in der DDR gab es für sie Arbeit, Wohnungen und gesellschaftlichen Anschluss unter dem Schlagwort „Nie wieder Krieg!“ Trotzdem spüren sie deutlich, dass sie nicht nur Kommunist:innen und DDR-Bürger:innen sind, sondern wie „eine Kuh, die im Pferdestall geboren ist“ – das Gefühl des Andersseins war stets ihr Begleiter. Waren sie an erster Stelle Kommunist:in und erst dann Jüdin bzw. Jude? Oder umgekehrt? Und wie sah das ihr politisches Umfeld?
Als sich die DDR am Ende der 1980er-Jahre zuerst wandelt und dann verschwindet, berichten sie für ein US-Forschungsprojekt vor der Kamera über ihre Lebenswege, reflektieren ihre Sonderrolle und werfen dabei einen kritischen Blick auf die vergangenen Jahre sowie die aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen – auch auf den bedrohlich anwachsenden Rechtsextremismus.
Text: Rainer Mende
Sa. 10.05.
20:00 Uhr
SWIMMINGPOOL AM GOLAN
, OmeU – JFBB Jüdisches Filmfestival Berlin BrandenburgEsther Zimmering
JFBB Sektion: BRUCH ODER KONTINUITÄT? “ANTIZIONISMUS” UND ANTISEMITISMUS IM SOZIALISMUS UND DANACH. TEIL II: ANTISEMITISMUS IM POSTSOZIALISMUS
Esther Zimmering, DE 2018, 88 min, OmeU, Dokumentarfilm
Originalsprache: Deutsch, Englisch, Hebräisch
Nach dem Fall der Mauer lernt Esther Zimmering ihre bis dahin unbekannte Verwandtschaft in Israel kennen. Was ist heute von den unterschiedlichen Ideen ihrer Vorfahr*innen übrig geblieben? Eine vielschichtige, persönliche Reflexion über jüdische Erfahrung in der DDR, sozialistische Erfahrung in Israel und beides nach der „Wende“.
Die eine Hälfte der Familie baute sozialistische Kibbuzim auf, die andere die DDR. Nach 1989 konnten die Zimmerings erstmals nach Israel reisen. Und damit in die Welt der „Zionisten“, die in der DDR zum Feindbild auserkoren waren. Für die damals 12-jährige Esther brachte die neue Zeit zunächst Unangenehmes mit sich: scheinbar plötzlich gab es Neonazis. Ihre Familie, die sich nach dem Krieg bewusst dafür entschied, in die DDR zu gehen, um den antifaschistischen Staat aufzubauen, wurde als Juden und Kommunisten beschimpft. Esther taucht tief in die Geschichte ihrer Familie ein: nur Großmutter Lizzi und deren Cousine Lore haben die Shoa überlebt. Lizzi kehrte 1945 aus dem englischen Exil nach Ostdeutschland zurück, Lore ging nach Palästina. Lizzis Ehemann Josef wird erster ständiger Vertreter der DDR bei der UN in Genf. Jüdische Feiertage werden in der Familie nicht gefeiert. Lores Ehemann Max gehört zu den zionistischen Gründervätern des Staates Israel. Esther findet in den 1990er-Jahren in Israel und bei ihrer dortigen Familie eine zweite Heimat. Aber auch hier bröckeln die Ideale, und mit ihnen die heile Weilt, die sie als Jugendliche vorfand.
„Zimmering gelingt es erstaunlich präzise, die kollektive Geschichte in Gestalt der Aufbau-Utopien von Israel wie der DDR sehr eng mit ihrer eigenen Entwicklung zu verbinden und die komplexe Familiengeschichte von 1933 bis in die Gegenwart nachzuzeichnen.“ (Wolfgang Hamdorf, in: filmdienst.de [abgerufen am 26. Juli 2018]).
Text: Bernd Buder unter Verwendung von Pressematerial des Arsenal-Filmverleih
Deutschland / Estland / Finnland / Frankreich / Griechenland / Schweden 2024, 98 min
Russisch | Englisch | Schwedisch mit deutschen UT
Regie: Alexandros Avranas
Sergei und Natalia sind mit ihren zwei Töchtern von Russland nach Schweden geflohen und hoffen auf politisches Asyl. Katja, die jüngere Tochter, könnte als einzige die Misshandlungen bezeugen, denen der Vater ausgeliefert war. Doch die Eltern wollen ihr die Anhörungen bei der Migrationsbehörde nicht zumuten. Als der Asylantrag abgelehnt wird, fällt Katja ins Koma. Sergei und Natalia versuchen alles, um ihre Tochter wieder ins Leben zurückzuholen. Und suchen gleichzeitig nach einem Weg, um doch noch in Schweden bleiben zu können. (Filmfest Hamburg 2024)

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„QUIET LIFE ist ein ruhiger Film und ein stiller Aufschrei, großartig inszeniert und beeindruckend gespielt. Am Ende mag die Menschlichkeit siegen, doch hier ist sie hart und leidvoll errungen.“ (Britta Schmeis, epd-film.de)
„Diesmal ist es nicht die Spindel der bösen Hexe, sondern die unbarmherzige Bürokratie, die ein junges Mädchen in einen Dornröschenschlaf versetzt. Der Film QUIET LIFE erzählt die Geschichte einer russischen Flüchtlingsfamilie, die sich in Schweden um ihre Aufenthaltserlaubnis bemüht. In seinem distanziert-kühlen Drama zeichnet der griechische Regisseur Alexandros Avranas ein eindrucksvolles Bild des schwedischen Migrationssystems und beleuchtet dabei insbesondere das sogenannte Resignationssyndrom, das erstmals in den Neunzigerjahren dokumentiert wurde. Betroffen sind vor allem psychisch traumatisierte Kinder aus osteuropäischen Ländern, die als Reaktion auf die Belastungen des Migrationsprozesses in einen komatösen Zustand verfallen. Ihre Genesung kann Monate oder gar Jahre dauern und soll überhaupt nur möglich sein, wenn das Gefühl von Sicherheit innerhalb der Familie wiederhergestellt wird. Doch wie soll dies gelingen, wenn eine Abschiebung droht? Mit einer entrückten Atmosphäre und einem überzeugenden Ensemble fängt QUIET LIFE das verzweifelte Streben nach Normalität, Hoffnung und einem sicheren Leben ein.“ (Ulf Lepelmeier, filmstarts.de)
„Es ist unwahrscheinlich, dass QUIET LIFE in Russland gezeigt wird. Tschulpan Chamatowa verließ das Land nach Februar 2022. Sie lebt jetzt in Lettland und wurde in Russland wiederholt für ihre Äußerungen über Russland und den russisch-ukrainischen Konflikt kritisiert. Grigori Dobrygin, der bei der Berlinale den Silbernen Bären für seine Rolle in HOW I ENDED THIS SUMMER erhielt, lebt zwischen Berlin und Los Angeles. Im Jahr 2022 hat er sich offen für die Ukraine ausgesprochen. Doch wie ein Filmkritiker in Russland schrieb, spielt QUIET LIFE der russischen Propaganda in die Hände. Schließlich geht es darum, dass Russen, auch solche, die die russische Regierung kritisieren, im Westen nicht willkommen sind. Was sie dort erwartet, sind Bürokratie, Arbeitslosigkeit und andere Probleme. Gibt es dort überhaupt Hoffnung auf ein ruhiges Leben für sie? Das Finale des Films deutet es an.“ (Olga Silantjewa, mdz-moskau.eu)
So. 11.05.
17:30 Uhr
Double Feature: BETWEEN THE DITCHES AND RAMPARTS + THE COMMUNITY
, OmdU + OmeU – JFBB Jüdisches Filmfestival Berlin BrandenburgViktor Portel | Alex Osmolovsky
JFBB Sektion: BRUCH ODER KONTINUITÄT? “ANTIZIONISMUS” UND ANTISEMITISMUS IM SOZIALISMUS UND DANACH. TEIL II: ANTISEMITISMUS IM POSTSOZIALISMUS
BETWEEN THE DITCHES AND RAMPARTS
Viktor Portel, CZ 2024, 38 min, OmU (Englisch + Deutsch)
Originalsprache: Tschechisch
Kein Ort in Tschechien ist so sehr von der Shoa geprägt wie Theresienstadt. Manche wollen diese Vergangenheit hinter sich lassen – schließlich waren es ja „nur vier Jahre“. Doch dieses absichtliche Vergessen hat nicht geholfen, dem Ort neues Leben einzuhauchen.
Es ist eine kontemplative Reise durch eine trostlose Gegenwart und in das Verhältnis der tschechischen Gesellschaft zu ihrer jüdischen Geschichte. Manche Menschen, die hier wohnen, meinen, ab und zu „Gespenstern“ zu begegnen. Andere, darunter der Bürgermeister, würden der Vergangenheit und dem Gedenken daran lieber ausweichen. Der einsame Spaziergänger, der uns in dem Film durch die Stadt führt, die über einige Jahre zum Ghetto wurde, reflektiert, dass nach dem Zweiten Weltkrieg kaum noch jemand über die jüdischen Opfer in dem ehemaligen Konzentrationslager gesprochen hat. Im Kalten Krieg dominierte das Narrativ der Sozialist:innen, dass mit dem Faschismus auch der Antisemitismus ausgerottet wurde. Als Opfer wurden vor allem kommunistische Gefangene verstanden. Damit wäre in Tschechien der Faden zur jüdischen Geschichte des Landes gerissen.
Regisseur Victor Portel über seinen Film: „Im Rahmen der Nichtregierungsorganisation ‚Memory of the Nations‘ haben wir viele Zeitzeug:innenberichte gefilmt und eine Reihe von Dokumentarfilmen für das tschechische Fernsehen erstellt, die sich mit dem Schicksal der jüdischen Gemeinschaft befassen. Dieser Film ist jedoch mein erster eigener Dokumentarfilm, in dem ich mich dem Thema aus einer persönlichen Perspektive nähere und nicht nur die Vergangenheit von Theresienstadt erforsche, sondern auch, wie wir sie heute sehen.“
Text: Produktionsmitteilung / Bearbeitet und ausgeführt von Bernd Buder
THE COMMUNITY
Alex Osmolovsky, IL/UA 2025, 64 min, OmU (Englisch + Deutsch), Dokumentarfilm
Originalsprache: Ukrainisch, Russisch
Wie geht es den jüdischen Communities in der Ukraine heute, zwischen Bomben und Nazismus-Vorwürfen aus Russland? Eine Bestandsaufnahme aus einem Land, in dem der Krieg die Normalität definiert. Und der Antisemitismus sich heute europaweit auf dem im Vergleich niedrigsten Niveau befindet, sagen die Protagonist*innen in Alex Osmolovskys Dokumentarfilm.
Von dem üppigen jüdischen Leben ist in der Ukraine nach der Shoa, antisemitischen Kampagnen in der Sowjet-Ära und der Ausreisewelle in den 1990er-Jahren nur wenig übriggeblieben. Die verbliebenen jüdischen Gemeinden, divers wie immer, sind unter dem Druck des russischen Angriffskrieges zusammengerückt, wie die gesamte Gesellschaft. Alex Osmolovsky, selber ukrainisch-stämmig, kehrt zu Purim in die Ukraine zurück und dreht dort zwei Jahre lang – die persönliche Beobachtung eines Ausnahmezustands, der mit Resilienz ertragen und mit Leidenschaft gelebt wird. Zwischen den Schatten der Vergangenheit und den Herausforderungen der Gegenwart, zwischen Alltag, Synagoge und dem Dienst in einer jüdischen Einheit der ukrainischen Armee, lassen uns seine Protagonist:innen an der jüdischen Erfahrung in der heutigen Ukraine teilhaben. Eine Erfahrung, vor deren Hintergrund die Nazismus-Vorwürfe aus dem Kreml zu dem werden, was sie sind: bloßer Hohn.
Der Regisseur über seinen Film: „THE COMMUNITY zeigt die Stärke und Widerstandsfähigkeit der vielfältigen jüdischen Gemeinschaft der Ukraine, die sich durch die Härten des Krieges kämpfen muss. Anhand von persönlichen Geschichten und Interviews mit einer Reihe von Persönlichkeiten zeigt der Film ihre wesentliche Rolle im Kampf der Ukraine und erforscht ihre Erfahrungen inmitten von Nazivorwürfen, die einen Schatten auf das Land geworfen haben. Als Regisseur des Films und jemand, der die Ukraine einst seine Heimat nannte, kehrte ich zurück, um mir ein Bild von dieser gewaltigen Realität zu machen und zu verstehen, warum die jüdische Gemeinschaft die Ukraine trotz allem weiterhin als ihre Heimat ansieht.“ (Zitat: Pressematerial des Weltvertriebs)
[Engl. Originalzitat]: ”THE COMMUNITY captures the strength and resilience of Ukraine’s diverse Jewish community as they navigate the hardships of war. Through personal stories and interviews with a range of characters, the film reveals their essential role in Ukraine’s struggle and explores their experiences amidst accusations of Nazism that have cast a shadow over the nation. As the film’s director and someone who once called Ukraine home, I returned to witness this powerful reality firsthand, seeking to understand why, despite everything, the Jewish community continues to see Ukraine as their home.“ (Quote: press material of world distribution)
Text: Bernd Buder
So. 11.05.
20:00 Uhr
8TH DAY OF KHAMSIN
, OmdU + OmeU – JFBB Jüdisches Filmfestival Berlin BrandenburgZvika Gregory Portnoy
JFBB Sektion: WETTBEWERB DOKUMENTARFILM
Zvika Gregory Portnoy, PL/IL 2024, 77 min, OmU (Englisch + Deutsch), Dokumentarfilm
Originalsprache: Hebräisch, Englisch
Ende der 1950er-Jahre: Der Wüstenwind Khamsin macht mit heißer, staubiger Luft das Leben im jungen Israel schwer. Auch dem „polnischen James Dean“ Marek Hłasko bläst er ins Gesicht. In einer aufwändigen Collage folgt der Film dem polnischen Schriftsteller und verwischt dabei die Grenzen zwischen Geschichte und (Auto)Fiktion.
Nachdem der aufmüpfige junge Literaturstar Marek Hłasko die Volksrepublik Polen als „Verräter der Sozialismus“ verlassen musste, irrte er durch die Welt. 1959 verschlug es ihn nach Israel, wo er das Schicksal des jungen Landes sowie sein eigenes literarisch verarbeitete. Wie in Polen interessierte er sich vor allem für die Schattenseiten der Gesellschaft – die Kriminellen, die Trinker, die Prostituierten.
Angelehnt an Hłaskos sozialkritischen Roman „Der achte Tag der Woche“ konstruiert Portnoy 60 Jahre später eine „wahre Fiktion“. Er arbeitet in einer Collage aus Texten des Autors, dokumentarischem Filmmaterial, Artikeln und Fotos einerseits diese kurze Episode aus Hłaskos Leben auf, erzählt dabei aber auch den schwierigen Werdegang des jungen jüdischen Staates.
Aus einer unüberschaubaren Masse an Material formt Portnoy eine Geschichte von Hłaskos Ankunft, Über-/Leben, Scheitern und Ausreise, wie dieser sie sie selbst geschrieben haben könnte, und schildert zugleich die Verwerfungen dieser Epoche.
Text: Rainer Mende
Deutschland 2025, 111 min, deutsche Originalfassung
Regie: Kathrin Jahrreiß
Kathrin Jahrreiß geht dem Leben von drei sehr unterschiedlichen Brüdern nach: Einer machte bei den Nazis Karriere und behielt auch in der BRD einen hohen Status, ein anderer flüchtete in die USA und der dritte, ihr Opa, blieb nach der Ermordung seiner jüdischen Frau in Dresden, um nach dem Krieg als Anwalt einen Rechtsstaat mit aufzubauen – bis er von der Stasi rekrutiert wurde. Eine persönliche Spurensuche, die ein komplexes Bild einer deutsch-jüdischen Familie über drei Generationen in mehreren politischen Systemen zeichnet.
„Die Vergangenheit und Herkunft meines Vaters war für mich stets wie ein Buch mit leeren Seiten. Ich wollte besser verstehen, wie mein Vater der geworden ist, der er ist. Warum hat er so ein negatives Familienbild? Er habe noch ein ganz klares Bild von seinem Vater, erfahre ich. Es sei aber ‚der Vater von hinten‘. Dieses Bild kenne ich, auch ich sehe meinen Vater so vor mir, wenn ich an ihn denke. Wie kommen wir beide von unserem inneren Bild des ‚Vaters von hinten‘ los?
Durch den Fund der Briefe habe ich schnell gemerkt, dass auch die deutsche Zeitgeschichte viel damit zu tun hat, dass mein Vater keinen Familiensinn entwickeln konnte und die ganze Vergangenheit hinter dem Eisernen Vorhang lassen wollte. Mir wurde da zum ersten Mal klar, wie sehr die Zeitgeschichte unsere Biographien mitgestaltet, obwohl wir glauben, alles selbst in der Hand zu haben. Mit großem Erkenntnisinteresse fing ich an, in unserer Familienvergangenheit zu graben. Über mein persönliches Interesse hinaus erzählt die Geschichte der drei Brüder für mich exemplarisch das Universelle im Individuellen: jeder der drei Brüder stellt mit seiner Biographie als pars pro toto jeweils eine der Möglichkeiten dar, wie man in einem totalitären Regime überleben kann. Zerrissen zwischen ihren Entscheidungen, zwischen Flucht, Trotz und Kollaboration, laufen die Wege der Brüder auseinander, nachdem sie, gemeinsam in Dresden beim Vater aufgewachsen, im Ersten Weltkrieg noch an der gleichen Front gekämpft hatten.
Der Film erzählt dabei keine Heldengeschichte, sondern ist eher eine Art vielschichtige Tiefenbohrung, die versucht, die Protagonisten in ihrer Fehlbarkeit, ihrer Ambivalenz und Widersprüchlichkeit menschlich nahbar zu zeigen. Daraus ergibt sich die Frage nach Haltung und Moral in Zeiten existentieller Bedrohung durch eine Gewaltherrschaft. Der differenzierte Blick auf die Graustufen der damaligen Lebenswirklichkeit ist für mich der eigentliche Schlüssel zum Verständnis. Die vielen Briefe meiner Vorfahren haben mir diese Tür geöffnet und mir geholfen, die Perspektive zu wechseln und mir, anders als bei einer Draufsicht, die damalige Zeit aus Sicht der Betroffenen vorzustellen. Durch eine Betrachtung der Protagonisten in der Vielschichtigkeit ihrer damaligen Lebenswirklichkeit hatte ich das Gefühl, ihnen am ehesten gerecht werden zu können. So entstand für mich eine Nahbarkeit, in der ich mich auch selbst spiegeln konnte: Was hätte ich wohl getan, damals? Was würde ich heute tun, käme eine Diktatur an die Macht? Das Land verlassen, mich dagegen stellen oder versuchen möglichst unbeschadet durchzukommen?
Der biographischen Prägung durch die politische Zeitgeschichte kann sich niemand entziehen und obwohl klar ist, dass sich viele Antworten auf Fragen der Gegenwart in der Vergangenheit finden, herrscht innerfamiliär oft eine große Sprachlosigkeit zwischen den Generationen. Wieviel die Herkunft und
Vergangenheit mit dem eigenen Leben zu tun haben versteht man möglicherweise aber auch erst so richtig, wenn man selbst schon etwas älter ist. Ich vermute, dass in fast allen deutschen Familien noch Kisten im Keller stehen, die unausgepackt geblieben sind. Viele Geschichten sind noch nicht erzählt worden und wenn wir jetzt nicht fragen, nehmen sie unsere Eltern am Ende mit ins Grab… Als Vater und Tochter schauen wir aus dem Heute als zweite und dritte Generation auf die Geschichte: er ist mit Verdrängung aufgewachsen und fremdelt mit Verwandtschaft und Familie. Ich aber möchte alles wissen und meiner Oma ein Denkmal setzen, denn ich finde, erst wenn man vergessen wird, ist man wirklich gestorben.
Mein Vater war von Anfang an bereit, mein Filmprojekt zu unterstützen, bedauerte dabei aber stets, mir nicht helfen zu können, da er kaum etwas wisse. Manchmal ließ er dann beiläufig und scheinbar unbewusst eine wichtige Information fallen, wie ein Puzzleteilchen, das ich eifrig aufhob, um es in mein 1000-Teile Puzzle einzuordnen.
Als ich ihm meine Rechercheergebnisse präsentierte und mit ihm zu den früheren Schauplätzen fuhr, schien er immer mehr Neugier auf seine eigene Geschichte zu entwickeln. Dass er sich eingelassen hat auf diese Reise und auf seine Tochter als ‚Reiseleiterin‘ war ein großes Glück für mich, für uns beide vielleicht.“ (Regiestatement)
Mo. 12.05.
19:00 Uhr
Die DEFA-Stiftung präsentiert | Wiederentdeckt: Der Strass
– Anschließend Filmgespräch mit Andreas Höntsch (Regie) und Carmen Blazejewski (Drehbuch) | Einführung und Moderation: Philip Zengel (DEFA-Stiftung)Andreas Höntsch
DDR 1990, 35mm, 90 min, deutsche Originalfassung
Regie: Andreas Höntsch
Ost-Berlin 1989. Der 30-jährige Georg Bastian führt ein durchschnittliches Leben als Pressefotograf einer Illustrierten. Bei einem nächtlichen Streifzug durch die Stadt sieht er eine Show der Tänzerin Miss Albena. Die mit nur wenigen Strass-Steinen bekleidete Frau fasziniert ihn sofort und er will eine Fotoreportage über sie machen. Georg bricht aus seinem bisherigen Leben aus. Fantasie und Wirklichkeit verschwimmen…
Sechs Jahre musste Regisseur Andreas Höntsch nach Abschluss seines Regie-Studiums 1984 warten, ehe er mit den Dreharbeiten zu seinem ersten eigenen DEFA-Spielfilm beginnen durfte. Höntsch gelang ein eindrucksvolles Debüt, das mit echten Kinomomenten aufwartet und ein spannendes Zeitdokument aus der Transformationszeit darstellt. Wie die meisten anderen späten DEFA-Produktionen wurde DER STRASS nur von einem kleinen Publikum wahrgenommen, gewann jedoch 1991 den Publikumspreis beim Max Ophüls Filmfestival in Saarbrücken und verdient eine Wiederentdeckung. (Philip Zengel, DEFA-Stiftung)
Deutschland / Estland / Finnland / Frankreich / Griechenland / Schweden 2024, 98 min
Russisch | Englisch | Schwedisch mit deutschen UT
Regie: Alexandros Avranas
Sergei und Natalia sind mit ihren zwei Töchtern von Russland nach Schweden geflohen und hoffen auf politisches Asyl. Katja, die jüngere Tochter, könnte als einzige die Misshandlungen bezeugen, denen der Vater ausgeliefert war. Doch die Eltern wollen ihr die Anhörungen bei der Migrationsbehörde nicht zumuten. Als der Asylantrag abgelehnt wird, fällt Katja ins Koma. Sergei und Natalia versuchen alles, um ihre Tochter wieder ins Leben zurückzuholen. Und suchen gleichzeitig nach einem Weg, um doch noch in Schweden bleiben zu können. (Filmfest Hamburg 2024)

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„QUIET LIFE ist ein ruhiger Film und ein stiller Aufschrei, großartig inszeniert und beeindruckend gespielt. Am Ende mag die Menschlichkeit siegen, doch hier ist sie hart und leidvoll errungen.“ (Britta Schmeis, epd-film.de)
„Diesmal ist es nicht die Spindel der bösen Hexe, sondern die unbarmherzige Bürokratie, die ein junges Mädchen in einen Dornröschenschlaf versetzt. Der Film QUIET LIFE erzählt die Geschichte einer russischen Flüchtlingsfamilie, die sich in Schweden um ihre Aufenthaltserlaubnis bemüht. In seinem distanziert-kühlen Drama zeichnet der griechische Regisseur Alexandros Avranas ein eindrucksvolles Bild des schwedischen Migrationssystems und beleuchtet dabei insbesondere das sogenannte Resignationssyndrom, das erstmals in den Neunzigerjahren dokumentiert wurde. Betroffen sind vor allem psychisch traumatisierte Kinder aus osteuropäischen Ländern, die als Reaktion auf die Belastungen des Migrationsprozesses in einen komatösen Zustand verfallen. Ihre Genesung kann Monate oder gar Jahre dauern und soll überhaupt nur möglich sein, wenn das Gefühl von Sicherheit innerhalb der Familie wiederhergestellt wird. Doch wie soll dies gelingen, wenn eine Abschiebung droht? Mit einer entrückten Atmosphäre und einem überzeugenden Ensemble fängt QUIET LIFE das verzweifelte Streben nach Normalität, Hoffnung und einem sicheren Leben ein.“ (Ulf Lepelmeier, filmstarts.de)
„Es ist unwahrscheinlich, dass QUIET LIFE in Russland gezeigt wird. Tschulpan Chamatowa verließ das Land nach Februar 2022. Sie lebt jetzt in Lettland und wurde in Russland wiederholt für ihre Äußerungen über Russland und den russisch-ukrainischen Konflikt kritisiert. Grigori Dobrygin, der bei der Berlinale den Silbernen Bären für seine Rolle in HOW I ENDED THIS SUMMER erhielt, lebt zwischen Berlin und Los Angeles. Im Jahr 2022 hat er sich offen für die Ukraine ausgesprochen. Doch wie ein Filmkritiker in Russland schrieb, spielt QUIET LIFE der russischen Propaganda in die Hände. Schließlich geht es darum, dass Russen, auch solche, die die russische Regierung kritisieren, im Westen nicht willkommen sind. Was sie dort erwartet, sind Bürokratie, Arbeitslosigkeit und andere Probleme. Gibt es dort überhaupt Hoffnung auf ein ruhiges Leben für sie? Das Finale des Films deutet es an.“ (Olga Silantjewa, mdz-moskau.eu)
Deutschland 2025, 111 min, deutsche Originalfassung
Regie: Kathrin Jahrreiß
Kathrin Jahrreiß geht dem Leben von drei sehr unterschiedlichen Brüdern nach: Einer machte bei den Nazis Karriere und behielt auch in der BRD einen hohen Status, ein anderer flüchtete in die USA und der dritte, ihr Opa, blieb nach der Ermordung seiner jüdischen Frau in Dresden, um nach dem Krieg als Anwalt einen Rechtsstaat mit aufzubauen – bis er von der Stasi rekrutiert wurde. Eine persönliche Spurensuche, die ein komplexes Bild einer deutsch-jüdischen Familie über drei Generationen in mehreren politischen Systemen zeichnet.
„Die Vergangenheit und Herkunft meines Vaters war für mich stets wie ein Buch mit leeren Seiten. Ich wollte besser verstehen, wie mein Vater der geworden ist, der er ist. Warum hat er so ein negatives Familienbild? Er habe noch ein ganz klares Bild von seinem Vater, erfahre ich. Es sei aber ‚der Vater von hinten‘. Dieses Bild kenne ich, auch ich sehe meinen Vater so vor mir, wenn ich an ihn denke. Wie kommen wir beide von unserem inneren Bild des ‚Vaters von hinten‘ los?
Durch den Fund der Briefe habe ich schnell gemerkt, dass auch die deutsche Zeitgeschichte viel damit zu tun hat, dass mein Vater keinen Familiensinn entwickeln konnte und die ganze Vergangenheit hinter dem Eisernen Vorhang lassen wollte. Mir wurde da zum ersten Mal klar, wie sehr die Zeitgeschichte unsere Biographien mitgestaltet, obwohl wir glauben, alles selbst in der Hand zu haben. Mit großem Erkenntnisinteresse fing ich an, in unserer Familienvergangenheit zu graben. Über mein persönliches Interesse hinaus erzählt die Geschichte der drei Brüder für mich exemplarisch das Universelle im Individuellen: jeder der drei Brüder stellt mit seiner Biographie als pars pro toto jeweils eine der Möglichkeiten dar, wie man in einem totalitären Regime überleben kann. Zerrissen zwischen ihren Entscheidungen, zwischen Flucht, Trotz und Kollaboration, laufen die Wege der Brüder auseinander, nachdem sie, gemeinsam in Dresden beim Vater aufgewachsen, im Ersten Weltkrieg noch an der gleichen Front gekämpft hatten.
Der Film erzählt dabei keine Heldengeschichte, sondern ist eher eine Art vielschichtige Tiefenbohrung, die versucht, die Protagonisten in ihrer Fehlbarkeit, ihrer Ambivalenz und Widersprüchlichkeit menschlich nahbar zu zeigen. Daraus ergibt sich die Frage nach Haltung und Moral in Zeiten existentieller Bedrohung durch eine Gewaltherrschaft. Der differenzierte Blick auf die Graustufen der damaligen Lebenswirklichkeit ist für mich der eigentliche Schlüssel zum Verständnis. Die vielen Briefe meiner Vorfahren haben mir diese Tür geöffnet und mir geholfen, die Perspektive zu wechseln und mir, anders als bei einer Draufsicht, die damalige Zeit aus Sicht der Betroffenen vorzustellen. Durch eine Betrachtung der Protagonisten in der Vielschichtigkeit ihrer damaligen Lebenswirklichkeit hatte ich das Gefühl, ihnen am ehesten gerecht werden zu können. So entstand für mich eine Nahbarkeit, in der ich mich auch selbst spiegeln konnte: Was hätte ich wohl getan, damals? Was würde ich heute tun, käme eine Diktatur an die Macht? Das Land verlassen, mich dagegen stellen oder versuchen möglichst unbeschadet durchzukommen?
Der biographischen Prägung durch die politische Zeitgeschichte kann sich niemand entziehen und obwohl klar ist, dass sich viele Antworten auf Fragen der Gegenwart in der Vergangenheit finden, herrscht innerfamiliär oft eine große Sprachlosigkeit zwischen den Generationen. Wieviel die Herkunft und
Vergangenheit mit dem eigenen Leben zu tun haben versteht man möglicherweise aber auch erst so richtig, wenn man selbst schon etwas älter ist. Ich vermute, dass in fast allen deutschen Familien noch Kisten im Keller stehen, die unausgepackt geblieben sind. Viele Geschichten sind noch nicht erzählt worden und wenn wir jetzt nicht fragen, nehmen sie unsere Eltern am Ende mit ins Grab… Als Vater und Tochter schauen wir aus dem Heute als zweite und dritte Generation auf die Geschichte: er ist mit Verdrängung aufgewachsen und fremdelt mit Verwandtschaft und Familie. Ich aber möchte alles wissen und meiner Oma ein Denkmal setzen, denn ich finde, erst wenn man vergessen wird, ist man wirklich gestorben.
Mein Vater war von Anfang an bereit, mein Filmprojekt zu unterstützen, bedauerte dabei aber stets, mir nicht helfen zu können, da er kaum etwas wisse. Manchmal ließ er dann beiläufig und scheinbar unbewusst eine wichtige Information fallen, wie ein Puzzleteilchen, das ich eifrig aufhob, um es in mein 1000-Teile Puzzle einzuordnen.
Als ich ihm meine Rechercheergebnisse präsentierte und mit ihm zu den früheren Schauplätzen fuhr, schien er immer mehr Neugier auf seine eigene Geschichte zu entwickeln. Dass er sich eingelassen hat auf diese Reise und auf seine Tochter als ‚Reiseleiterin‘ war ein großes Glück für mich, für uns beide vielleicht.“ (Regiestatement)
Litauen 2024, 99 min, litauische Originalfassung mit deutschen UT
Regie: Saulė Bliuvaitė
„Ein beeindruckend harter Debütfilm mit einem Hauch Zärtlichkeit und Humor, der zeigt, wie weibliche Freundschaften an einem hoffnungslosen Ort Wurzeln schlagen.“ (Variety)
Die jugendliche Marija verbringt den Sommer bei ihrer Großmutter in einem Industriegebiet im Hinterland Litauens. Aufgrund ihres Gehfehlers wird sie schnell gemobbt und gerät in eine Prügelei mit der gleichaltrigen Kristina, die – wie viele andere Mädchen in dieser abgehängten Gegend – eine Modelschule besucht. Bald schließt sich auch Marija der kultähnlichen Institution an. Mit der Aussicht auf eine Karriere in der Modebranche werden hier Gefühle von Selbsthass normalisiert und Essstörungen sind an der Tagesordnung. Während sich eine intime Freundschaft zwischen Marija und Kristina entwickelt, geraten die Mädchen in eine sich immer schneller drehende Spirale, in der sie ihre Körper auf extreme Weise missbrauchen. Beruhend auf eigenen Erfahrungen offenbart Regisseurin Saulė Bliuvaitė die toxischen Strukturen einer ausbeuterischen, patriarchalen Gesellschaft, mit der viele junge Frauen zu kämpfen haben. Der weibliche Körper wird zur Währung, zum manipulierbaren Objekt – oder vielleicht doch zum letzten Fluchtweg aus einer chancenlosen Situation?

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(Wichtiger Hinweis: Dieser Film behandelt Themen im Zusammenhang mit Essstörungen und Körperbildproblemen und beinhaltet Darstellungen von Anorexie, Bulimie und Binge-Eating. Diese Inhalte könnten für Menschen mit einer Essstörung oder einer entsprechenden Vergangenheit belastend sein.
Beratungsstellen finden: www.bundesfachverbandessstoerungen.de / www.bzga-essstoerungen.de
Anonyme und kostenfreie Onlineberatung: www.ANAD-dialog.de
Hinweis in Kooperation mit ANAD-dialog erstellt.)
„Das junge litauische Kino bereitet sich langsam auf den weltweiten Durchbruch vor, und die Regiedebütantin Saulé Bliuvaité führt diese Bewegung mit ihrem herausragenden Film TOXIC an, der zurecht dieses Jahr den Goldenen Leoparden in Locarno gewonnen hat. (…) TOXIC ist ein pulsierender Film, der die Ängste und Träume heutiger Teenager in Osteuropa einfängt und gleichzeitig auf die Herausforderungen hinweist, die sie bewältigen müssen. Regisseurin Saulé Bliuvaité, die auf ihre eigenen Teenager-Erfahrungen zurückgreift, zeigt, dass sie das Talent hat, diese komplexen Themen mit Feingefühl und Respekt zu behandeln. Sicherlich das wichtigste Filmdebüt des aktuellen Kinojahres.“ (14films.de)
„Der Film ist kein Werk über Essstörung, sondern über Lebensrealitäten, in dem die Selbstoptimierung den Vorsprung anderer verkleinern muss… Alles für den Traum. Diese Maxime und dessen katastrophalen Konsequenzen ritzt Bliuvaitė jedem Zuschauenden ins Gewissen. Model, Körper, Kapital –TOXIC macht aus drei Wörtern eins.“ (Niklas Michels, kino-zeit.de)
Deutschland 2025, 111 min, deutsche Originalfassung
Regie: Kathrin Jahrreiß
Kathrin Jahrreiß geht dem Leben von drei sehr unterschiedlichen Brüdern nach: Einer machte bei den Nazis Karriere und behielt auch in der BRD einen hohen Status, ein anderer flüchtete in die USA und der dritte, ihr Opa, blieb nach der Ermordung seiner jüdischen Frau in Dresden, um nach dem Krieg als Anwalt einen Rechtsstaat mit aufzubauen – bis er von der Stasi rekrutiert wurde. Eine persönliche Spurensuche, die ein komplexes Bild einer deutsch-jüdischen Familie über drei Generationen in mehreren politischen Systemen zeichnet.
„Die Vergangenheit und Herkunft meines Vaters war für mich stets wie ein Buch mit leeren Seiten. Ich wollte besser verstehen, wie mein Vater der geworden ist, der er ist. Warum hat er so ein negatives Familienbild? Er habe noch ein ganz klares Bild von seinem Vater, erfahre ich. Es sei aber ‚der Vater von hinten‘. Dieses Bild kenne ich, auch ich sehe meinen Vater so vor mir, wenn ich an ihn denke. Wie kommen wir beide von unserem inneren Bild des ‚Vaters von hinten‘ los?
Durch den Fund der Briefe habe ich schnell gemerkt, dass auch die deutsche Zeitgeschichte viel damit zu tun hat, dass mein Vater keinen Familiensinn entwickeln konnte und die ganze Vergangenheit hinter dem Eisernen Vorhang lassen wollte. Mir wurde da zum ersten Mal klar, wie sehr die Zeitgeschichte unsere Biographien mitgestaltet, obwohl wir glauben, alles selbst in der Hand zu haben. Mit großem Erkenntnisinteresse fing ich an, in unserer Familienvergangenheit zu graben. Über mein persönliches Interesse hinaus erzählt die Geschichte der drei Brüder für mich exemplarisch das Universelle im Individuellen: jeder der drei Brüder stellt mit seiner Biographie als pars pro toto jeweils eine der Möglichkeiten dar, wie man in einem totalitären Regime überleben kann. Zerrissen zwischen ihren Entscheidungen, zwischen Flucht, Trotz und Kollaboration, laufen die Wege der Brüder auseinander, nachdem sie, gemeinsam in Dresden beim Vater aufgewachsen, im Ersten Weltkrieg noch an der gleichen Front gekämpft hatten.
Der Film erzählt dabei keine Heldengeschichte, sondern ist eher eine Art vielschichtige Tiefenbohrung, die versucht, die Protagonisten in ihrer Fehlbarkeit, ihrer Ambivalenz und Widersprüchlichkeit menschlich nahbar zu zeigen. Daraus ergibt sich die Frage nach Haltung und Moral in Zeiten existentieller Bedrohung durch eine Gewaltherrschaft. Der differenzierte Blick auf die Graustufen der damaligen Lebenswirklichkeit ist für mich der eigentliche Schlüssel zum Verständnis. Die vielen Briefe meiner Vorfahren haben mir diese Tür geöffnet und mir geholfen, die Perspektive zu wechseln und mir, anders als bei einer Draufsicht, die damalige Zeit aus Sicht der Betroffenen vorzustellen. Durch eine Betrachtung der Protagonisten in der Vielschichtigkeit ihrer damaligen Lebenswirklichkeit hatte ich das Gefühl, ihnen am ehesten gerecht werden zu können. So entstand für mich eine Nahbarkeit, in der ich mich auch selbst spiegeln konnte: Was hätte ich wohl getan, damals? Was würde ich heute tun, käme eine Diktatur an die Macht? Das Land verlassen, mich dagegen stellen oder versuchen möglichst unbeschadet durchzukommen?
Der biographischen Prägung durch die politische Zeitgeschichte kann sich niemand entziehen und obwohl klar ist, dass sich viele Antworten auf Fragen der Gegenwart in der Vergangenheit finden, herrscht innerfamiliär oft eine große Sprachlosigkeit zwischen den Generationen. Wieviel die Herkunft und
Vergangenheit mit dem eigenen Leben zu tun haben versteht man möglicherweise aber auch erst so richtig, wenn man selbst schon etwas älter ist. Ich vermute, dass in fast allen deutschen Familien noch Kisten im Keller stehen, die unausgepackt geblieben sind. Viele Geschichten sind noch nicht erzählt worden und wenn wir jetzt nicht fragen, nehmen sie unsere Eltern am Ende mit ins Grab… Als Vater und Tochter schauen wir aus dem Heute als zweite und dritte Generation auf die Geschichte: er ist mit Verdrängung aufgewachsen und fremdelt mit Verwandtschaft und Familie. Ich aber möchte alles wissen und meiner Oma ein Denkmal setzen, denn ich finde, erst wenn man vergessen wird, ist man wirklich gestorben.
Mein Vater war von Anfang an bereit, mein Filmprojekt zu unterstützen, bedauerte dabei aber stets, mir nicht helfen zu können, da er kaum etwas wisse. Manchmal ließ er dann beiläufig und scheinbar unbewusst eine wichtige Information fallen, wie ein Puzzleteilchen, das ich eifrig aufhob, um es in mein 1000-Teile Puzzle einzuordnen.
Als ich ihm meine Rechercheergebnisse präsentierte und mit ihm zu den früheren Schauplätzen fuhr, schien er immer mehr Neugier auf seine eigene Geschichte zu entwickeln. Dass er sich eingelassen hat auf diese Reise und auf seine Tochter als ‚Reiseleiterin‘ war ein großes Glück für mich, für uns beide vielleicht.“ (Regiestatement)
Deutschland / Estland / Finnland / Frankreich / Griechenland / Schweden 2024, 98 min
Russisch | Englisch | Schwedisch mit deutschen UT
Regie: Alexandros Avranas
Sergei und Natalia sind mit ihren zwei Töchtern von Russland nach Schweden geflohen und hoffen auf politisches Asyl. Katja, die jüngere Tochter, könnte als einzige die Misshandlungen bezeugen, denen der Vater ausgeliefert war. Doch die Eltern wollen ihr die Anhörungen bei der Migrationsbehörde nicht zumuten. Als der Asylantrag abgelehnt wird, fällt Katja ins Koma. Sergei und Natalia versuchen alles, um ihre Tochter wieder ins Leben zurückzuholen. Und suchen gleichzeitig nach einem Weg, um doch noch in Schweden bleiben zu können. (Filmfest Hamburg 2024)

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„QUIET LIFE ist ein ruhiger Film und ein stiller Aufschrei, großartig inszeniert und beeindruckend gespielt. Am Ende mag die Menschlichkeit siegen, doch hier ist sie hart und leidvoll errungen.“ (Britta Schmeis, epd-film.de)
„Diesmal ist es nicht die Spindel der bösen Hexe, sondern die unbarmherzige Bürokratie, die ein junges Mädchen in einen Dornröschenschlaf versetzt. Der Film QUIET LIFE erzählt die Geschichte einer russischen Flüchtlingsfamilie, die sich in Schweden um ihre Aufenthaltserlaubnis bemüht. In seinem distanziert-kühlen Drama zeichnet der griechische Regisseur Alexandros Avranas ein eindrucksvolles Bild des schwedischen Migrationssystems und beleuchtet dabei insbesondere das sogenannte Resignationssyndrom, das erstmals in den Neunzigerjahren dokumentiert wurde. Betroffen sind vor allem psychisch traumatisierte Kinder aus osteuropäischen Ländern, die als Reaktion auf die Belastungen des Migrationsprozesses in einen komatösen Zustand verfallen. Ihre Genesung kann Monate oder gar Jahre dauern und soll überhaupt nur möglich sein, wenn das Gefühl von Sicherheit innerhalb der Familie wiederhergestellt wird. Doch wie soll dies gelingen, wenn eine Abschiebung droht? Mit einer entrückten Atmosphäre und einem überzeugenden Ensemble fängt QUIET LIFE das verzweifelte Streben nach Normalität, Hoffnung und einem sicheren Leben ein.“ (Ulf Lepelmeier, filmstarts.de)
„Es ist unwahrscheinlich, dass QUIET LIFE in Russland gezeigt wird. Tschulpan Chamatowa verließ das Land nach Februar 2022. Sie lebt jetzt in Lettland und wurde in Russland wiederholt für ihre Äußerungen über Russland und den russisch-ukrainischen Konflikt kritisiert. Grigori Dobrygin, der bei der Berlinale den Silbernen Bären für seine Rolle in HOW I ENDED THIS SUMMER erhielt, lebt zwischen Berlin und Los Angeles. Im Jahr 2022 hat er sich offen für die Ukraine ausgesprochen. Doch wie ein Filmkritiker in Russland schrieb, spielt QUIET LIFE der russischen Propaganda in die Hände. Schließlich geht es darum, dass Russen, auch solche, die die russische Regierung kritisieren, im Westen nicht willkommen sind. Was sie dort erwartet, sind Bürokratie, Arbeitslosigkeit und andere Probleme. Gibt es dort überhaupt Hoffnung auf ein ruhiges Leben für sie? Das Finale des Films deutet es an.“ (Olga Silantjewa, mdz-moskau.eu)
Mi. 04.06.
10:00 Uhr
Spatzenkino – Sommerzeit
– nur mit Voranmeldung! | reservierung@spatzenkino.de | Service-Telefon 449 47 50
Pettersson und Findus: Der allerlängste Tag
Findus wettet mit den Hühnern, dass er den ganzen längsten Tag des Jahres wach bleibt. Aber das ist nicht so einfach.
Regie: Mirko Dreiling, S/D 2021, Zeichentrickfilm, 12 Min.
Ich sehe was, was du nicht siehst
Es ist sommerlich heiß. Ingo und Mia langweilen sich, aber dann fällt ihnen das alte Spiel wieder ein. Los geht´s!
Regie: Alexandra Nebel, D 2012, Realfilm, 9 Min.
Ringelgasse 19: Als sie alle Ferien hatten
Alle Kinder der Ringelgasse freuen sich auf ihre Sommerurlaube. Nur Willi bleibt zu Hause. Oder doch nicht?
Regie: Susanne Seidel, D 2013, Zeichentrickfilm, 7 Min.