Сегодня мы построим дом / Heute bauen wir ein Haus
Am 12. April wird unser Kino 18 Jahre alt und in Europa herrscht Krieg – keine Zeiten zum Feiern. Entsprechend der dramatischen Situation richtet sich unser Focus einmal mehr auf die Ukraine. Am vergangenen Montag begrüßten wir eine Gruppe von dort geflüchteter SchulanfängerInnen und zeichneten mit ihnen in einem Workshop Material für einen mindestens 15 Sekunden oder knapp 8 Meter langen experimentellen Zeichentrickfilm auf 35mm Material, welcher nach Fertigstellung unter dem Titel VERSCHWINDET GESPENSTER! auf jedem klassischen Kinoprojektor vorgeführt werden kann.
Putins Krieg richtet sich nicht nur gegen die Bewohner der Ukraine, sondern auch gegen die eigene Bevölkerung und den Rest der Welt. Gerade deshalb brauchen wir die Stimmen unabhängiger russischer Filmemacher in unserem Programm. Zur Vorstellung ihres Films LANGES ECHO, dem Porträt eines Bergarbeiterstädtchens im Donbass, wird die in Deutschland lebende, russische Regisseurin Veronika Glasunowa am 13. April anwesend sein.
Gemeinsame Werte, Sprachen und Geschichte, Neugier sowie menschliches Vertrauen bedeuten uns mehr als leeres nationales Pathos! Vor 18 Jahren haben wir unser Kino mit СЕГОДНЯ МЫ ПОСТРОИМ ДОМ von Marat Magambetow und Sergej Loznitsa eröffnet. Magambetow stammt aus Kasachstan, Loznitsa aus der Ukraine. Beide studierten in Russland. Und nun, in Zeiten des Krieges, wurde der letztgenannte, derzeit wahrscheinlich bekannteste ukrainische Filmemacher, unter dem Vorwurf des Kosmopolitismus aus der nationalen ukrainischen Filmakademie ausgeschlossen.
In dem zu unserer Kinoeröffnung vor 18 Jahren gespielten Film beobachteten beide Regisseure eine Baustelle. Oft passiert nichts, manches geht schief. Die Porträtierten arbeiten nicht weniger, als sie gemeinsam trinken, lachen und streiten. Zwei Bauarbeiter prügeln sich, die Sache misslingt, vielleicht haben beide auch einfach zu viel gesoffen. Man sieht auffällig viele Frauen am Bau, Wolken und Wetter am Himmel wechseln einander ab, genauso wie die Straßenköter am Platz. Ganz einfach das Leben: anstrengend, verwirrend und schön zugleich. Entsprechend ihrem Geburtsort gelten die Regisseure als Kasache und Ukrainer, die gefilmte Baustelle liegt in Russland, und zur unerwarteten Fertigstellung des Hauses erklingt am Ende des Films ein estnisches Lied.
Unser Kino heißt seit 18 Jahren KROKODIL. Ursprünglich wollten wir uns nur dem russischen Film widmen, mussten das naive Vorhaben später notgedrungen verwerfen und schrieben danach zur Erklärung „Filme aus Russland und Osteuropa“ dazu. Die Menschen in den Filmen und die Filmemacherinnen und Filmemacher stehen bei uns im Mittelpunkt. Auch wenn wir aus Solidarität mit den bedrohten Menschen des Landes über unserer Tür gerade die ukrainische Fahne hissen, eignet sich unser Kino glücklicherweise nicht als Arena für falsche nationale Wettkämpfe, dem falschen Geschrei betrogener Massen, zu klein das Haus, zu eng die Beziehungen. Sie wissen: wir schauen, hören, sprechen, trinken und essen nach den Screenings lieber zusammen.
Hoffentlich klappt das auch weiterhin so schön wie bisher und der neue Streifen ABTEIL Nr. 6 bleibt nicht die letzte europäische Koproduktion mit russischer Beteiligung. Eigentlich hatten wir uns auf den Film und das gemeinsame Lachen im Kino gefreut. Vielen unserer Freundinnen und Freunde in der Ukraine, Belarus und Russland, in Moldawien, Lettland oder Georgien hat Putin ihr Leben, ihr Glück und das Lachen gestohlen. Wer das Lachen trotzdem versuchen will, dem sei der jüngste Film unseres Programms empfohlen. ABTEIL Nr. 6 läuft am Di, 05. April in Anwesenheit der deutschen Koproduzentin Jamila Wenske. Vielleicht gelingt es uns ein Lachen ohne die aktuelle Hölle des Krieges, die Folter und die Unterdrückung zu vergessen, ein Lachen als Akt des Widerstands gegen das Böse und wider all jene, die uns entzweien wollen.
Сегодня мы построим дом / Heute bauen wir ein Haus, auch wenn andere zerstören, helfen Sie, schauen Sie die Filme aller friedlichen und freiheitsliebenden Filmemacher, bauen Sie mit uns, für uns alle zusammen am Kino der Zukunft!
mit herzlichen Grüßen
Debora Fiora und Gabriel Hageni
Kino Krokodil, 1. April 2022