im Kino Krokodil (KK) und im Collegium Hungaricum Berlin (CHB) |
Die Werkschau ist Teil der vom Hauptstadt-Kulturfonds geförderten Veranstaltungsreihe Arsenal on Location. |
Judit Elek (*1937) ist eine zentrale Figur sowohl des ungarischen Dokumentarfilms wie auch des Spielfilmschaffens ihres Landes. Nach dem Studium an der Filmhochschule Budapest, das sie 1956 aufnahm, kurz vor dem ungarischen Volksaufstand, entstanden ihre ersten kurzen Filme im von ihr mitbegründeten Béla Balázs Studio, ein Ort der Experimentierfreude und künstlerischen Freiheit. Ihr Leben wie ihre Filme sind eng verknüpft mit den geschichtlichen Ereignissen des 20. Jahrhunderts; ihre jüdische Herkunft findet vor allem in ihren späteren Werken in dokumentarischer sowie fiktiver Form Eingang. Überhaupt stellt Eleks Œuvre die „Trennbarkeit von fiktionalen und nicht-fiktionalen Filmen immer wieder erfolgreich in Frage. Ein Werk, das darin mit den zeitgleich entstehenden filmischen Erneuerungsbewegungen genauso kommuniziert wie mit einer biografischen Situation: Bei der Abschlussvergabe an der Filmhochschule, wo Elek als erste Frau überhaupt zum Regiestudium zugelassen wurde, hatte sie als Frau kein Diplom für Spielfilm-Regie erhalten, weshalb sie zunächst Dokumentationen fürs ungarische Fernsehen realisierte.“ (Friederike Horstmann) Kompromisslos war Judit Elek immer. Nach ihrem ersten, 1969 entstandenen Spielfilm wurde sie aufgrund eines Drehbuchs zu den Schauprozessen gegen die ungarischen Jakobiner des 18. Jahrhunderts mit einem inoffiziellen Berufsverbot belegt und konnte acht Jahre lang keine Spielfilme drehen. Eine Wahrhaftigkeit im Abbilden der Realität zeichnet nicht nur Eleks Dokumentarfilme, sondern auch ihre Spielfilme aus, in denen sie oft die Beziehung zwischen Menschen, ihr Eingebunden-Sein in ihre Umwelt, Gefühle von Einsamkeit und Isolation ins Zentrum stellt.
KASTÉLYOK LAKÓI (Inhabitants of Castles in Hungary, Ungarn 1966 | 12.9. KK) zeigt den Zusammenprall von alten Strukturen und der sozialistischen Gegenwart Ungarns. „1966 machte ich den Dokumentarfilm KASTÉLYOK LAKÓI, über fünf Schlösser in Gödöllő, die ehemals königliche Residenz der Habsburger waren. Als ich dort filmte, war z.B. ein Teil des Gebäudes zu einem Altersheim umfunktioniert worden, ein anderer zu einer russischen Kaserne. Alles war in einem sehr verfallenen Zustand. Heruntergekommene Paläste, in denen z.B. alte, verwirrte Menschen wohnten, die aber eine eigene Meinung über die Welt besaßen und Schicksale zu erzählen hatten. Und hinter ihnen sieht man im Film die barocken Fassaden und schneeweißen Kamine.“ (Judit Elek)
Ihr Langfilmdebüt gab Elek mit dem zweiteiligen Film MEDDIG ÉL AZ EMBER? (How Long Does Man Live?, Ungarn 1968 | 12.9. KK, Einführung: Barbara Wurm), in dem sie zunächst die letzten Berufstage eines Fabrikarbeiters beobachtet und seinen körperlichen und geistigen Verfall nach dem Rentenbeginn sowie anschließend seinen Nachfolger, einen Jugendlichen, der gerade seine Ausbildung beginnt. Dieser Film gewann einen Hauptpreis bei den Kurzfilmtagen Oberhausen, wurde anschließend 1968 in Cannes in der Semaine de la Critique gezeigt („Der letzte Film, der vorgeführt wurde, bevor Truffaut und Godard den Vorhang herunterrissen und die Revolution ausbrach.“ – Judit Elek) und ist heute eines von Eleks bekannteren Werken.
SZIGET A SZÁRAZFÖLDÖN (Lady from Constantinople, Ungarn 1969 | 12. KK & 18.9. CHB, Einführung: Gary Vanisian) Die Protagonistin von Judit Eleks erstem langen Spielfilm zeigt die tägliche Routine einer von der bekannten Schauspielerin Manyi Kiss verkörperten älteren Frau. Sie lebt ganz in ihren Erinnerungen, was sich sowohl in den alten Möbeln und Gegenständen ihrer geräumigen Wohnung wie in den von ihr gerne aufgelegten Schlagerplatten widerspiegelt. Das nachbarschaftliche Zusammenleben ist geprägt von Nähe und gelegentlicher Hilfsbereitschaft, aber auch von Klatsch und Missgunst. Als sie sich entschließt, ihre große Wohnung zum Tausch anzubieten, lernt sie unterschiedlichste Menschen kennen. Eine Gruppenbesichtigung wird bald zur ausgelassenen Feier, wie überhaupt die Darstellung gewöhnlicher Ereignisse immer wieder ins Surreale kippt. Eleks Blick auf die „Lady von Konstantinopel“ ist voller Zärtlichkeit und auch Melancholie, die Vielfalt der Lebensentwürfe in Budapest registriert sie mit feiner Ironie.
ISTENMEZEJÉN 1972–73-BAN (Istenmezején, ein ungarisches Dorf, Ungarn 1974 | 16.9. KK) Ein berührendes, feinfühliges dokumentarisches Diptychon entstand in den 70er Jahren im Dorf Istenmezeje (dt. Gottesfeld) in einer ländlichen Bergarbeitergegend, wo Männer und Jungen in einem Bergwerk arbeiten und junge Mädchen mit 15 Jahren heiraten. Es ist das Porträt zweier Mädchen, Ilonka und Marika, die sich zwischen Feldarbeit und Schule, Ehe und Umzug in die Stadt entscheiden müssen, ohne das wirklich entscheiden zu können. „Die soziografische Studie zeigt Eleks Faszination für Menschen, Behausungen, Orte. Sie handelt von Lebensbedingungen junger Frauen in einem kleinen Dorf, von ihren Widerständen, ihren Sehnsüchten. Zugleich erweitert der Film durch die zeit- und raumdokumentarischen Aspekte den Blick über individuelle Frauenschicksale hinaus, ohne jedoch unspezifisch zu werden.“ (Friederike Horstmann)
Mit EGYSZERŰ TÖRTÉNET (Einfache Geschichte, Ungarn 1975 | 16.9. KK) setzt Elek ihre Langzeitbeobachtung im Dorf Istenmezeje fort, ein geografisch und sozial von städtischen Zentren weit entferntes Dorf, in dem gesellschaftliche Fortschritte verspätet eintreffen. In ihrer Konzentration auf die beiden Mädchen und ihre Familien schält sich ein Bild des ländlichen Ungarn heraus, das weit über Einzelschicksale hinausgeht. „Sie veranschaulichen, wie aus dokumentarischem Material ein Roman entsteht, der trotzdem ein Dokumentarfilm bleibt. Meine Filme sind sehr persönlich. Sie konzentrieren sich sehr auf Menschen, Gefühle und Beziehungen. Es geht um die Liebe, um Entscheidungen über den Lebensweg, Ehe, Selbstmord und Selbstmordversuche.“ (Judit Elek) Geplant war auch ein dritter Teil, in dem Judit Elek ihre eigene Rolle bei der Entstehung der Filme reflektieren wollte, was sich jedoch nie verwirklichte.
TALÁLKOZÁS (Encounter, Ungarn 1963 | 18.9. CHB) Eine Frau und ein Mann treffen sich an einem Nachmittag in Budapest, schlendern durch die Stadt, nähern sich einander vorsichtig an. Beide sind voller Erwartungen und Hoffnungen, die das Kennenlernen und den Wunsch nach Verbindung eher erschweren als vereinfachen. Gedreht mit Stilmitteln des Direct Cinema, mit nichtprofessionellen Schauspieler*innen und improvisierten Dialogen, entsteht in großer Unmittelbarkeit das berührende Porträt einer Begegnung.
TUTAJOSOK (Memories of a River, Ungarn/Frankreich 1989 | 24.9. KK, Einführung: Jörg Taszman) Am 1. April 1882 verschwand ein 14-jähriges Mädchen aus einem Dorf im nordöstlichen Ungarn. Wilde Gerüchte entstanden, sie sei einem jüdischen Ritualmord aus Anlass des zwei Tage später beginnenden Pessachfestes zum Opfer gefallen. Obwohl das nachweislich ertrunkene Mädchen Mitte Juni 1882 in der Tisza gefunden wurde, begann ein diffamierender Prozess gegen 15 Mitglieder der örtlichen jüdischen Gemeinde. Er endete zwar mit Freisprüchen, ist aber wie auch der Dreyfus-Prozess einige Jahre später in Frankreich Ausdruck eines immer lauter werdenden Antisemitismus in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts angesichts der erfolgreichen „Jüdischen Emanzipation“ in den Jahrzehnten davor. Die sogenannte „Affäre von Tiszaeszlár“ wurde mehrfach im Kino und in der Literatur verarbeitet, u.a. von Arnold Zweig (Ritualmord in Ungarn, 1914) und G.W. Pabst (Der Prozess, 1948). Elek schrieb das Drehbuch zu ihrem Film mit dem ebenfalls jüdischstämmigen Autor Péter Nádás, einem der wichtigsten ungarischen Schriftsteller der Gegenwart. Gemeinsam gestalteten sie den Stoff als epische, bildgewaltige Erzählung; Elek inszenierte für die Entstehungszeit ausgesprochen ungewöhnlich weite Strecken des Films in Großaufnahmen und mit einer geradezu frappierenden dokumentarischen Unmittelbarkeit.
MONDANI A MONDHATATLANT – ELIE WIESEL ÜZENETE (To Speak the Unspeakable – The Message of Elie Wiesel, Ungarn/Frankreich/USA 1996 | 28.9. KK) „Nie werde ich die Augenblicke vergessen, die meinen Gott und meine Seele mordeten, und meine Träume, die das Antlitz der Wüste annahmen. Nie werde ich das vergessen, und wenn ich dazu verurteilt wäre, so lange wie Gott zu leben. Nie.“ Elie Wiesel gelingt es in seinem Debütroman Die Nacht (1958) für das unsagbare Grauen der Shoah Worte zu finden, die, einmal gelesen, als ständige Mahnung fortdauern. Judit Eleks Film wiederum ist eine beeindruckend subtile, umfassende und zugleich unaufdringliche Annäherung an den Menschen Elie Wiesel, sein unermüdliches Wirken gegen das Vergessen und sein zeitloses Werk, das u.a. mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Den zentralen Teil des Films bildet die von der Kamera minutiös dokumentierte erste Rückkehr Wiesels in sein Heimatdorf Sighetu Marmației und in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, das er überlebt hatte. (Annette Lingg/Gary Vanisian)
Eine Filmreihe in Kooperation mit dem Filmkollektiv Frankfurt. Dank geht an Gary Vanisian.
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