Kroa­ti­en, Män­ner zwi­schen Auf­bruch, Blei­ben und Heim­kehr: GODI­NA PRO­ĐE, DAN NIKA­KO / A YEAR OF END­LESS DAYS | mit his­to­ri­schem Vorprogramm

am Mitt­woch, 26. März um 20:15 Uhr | im Vor­pro­gramm: ČVOR / DER­NEK / HALO MÜN­CHEN (Jugo­sla­wi­en 1968/1975) |

Wenn ich an mei­ne Grund­schul­zeit im Turi­ner Umland zurück­den­ke, über­kommt mich oft ein Gefühl der Unge­rech­tig­keit. Die meis­ten mei­ner Kom­mi­li­to­nin­nen, in mei­ner FIAT-Auto Indus­trie­ar­bei­ter­kin­der­klas­se waren das min­des­tens drei Fünf­tel, kamen ursprüng­lich aus dem ärme­ren Süden und hat­ten ihre Haus­frau­en­ma­mas auf Spiel­plät­zen, beim Kuchen­ba­cken und auf Kin­der­ge­burts­ta­gen ganz für sich allein. Wir ein­hei­mi­schen Kin­der dage­gen muss­ten unse­re berufs­tä­ti­gen Müt­ter selbst am Wochen­en­de mit Staub­sauger und Wasch­ma­schi­ne tei­len. Dabei über­sah ich die pre­kä­ren Ver­hält­nis­se hin­ter ihrem schein­ba­ren Luxus, hin­ter ihren end­lo­sen Urlau­ben im ver­hei­ßungs­vol­len Süden. Gleich der Kin­der­schar in Krs­to Papićs HALO MÜN­CHEN wäre ich gern ihren voll­be­la­de­nen Autos hin­ter­her­ge­lau­fen, wäre ihrem Brau­sen in die Fer­ne gefolgt, denn ihr Auf­bruch spann­te eine Brü­cke in eine ande­re Rea­li­tät, zu einem zwei­ten Leben, in dem sie auch zu Hau­se waren. Zuhau­se in einer zwei­ten Hei­mat, die sie viel­leicht wie ruhm­reich aus dem gol­de­nen Nor­den zurück­keh­ren­de Sie­ger emp­fing. Viel­leicht habe ich auch des­halb mei­ne Hei­mat ver­las­sen, woll­te es selbst ein­mal spü­ren, die­sen Tri­umph des in zwei Wel­ten Daheimseins, die Nähe zur alten Gemein­schaft und den Tri­umph in der neu­en. Papić und Tadić doku­men­tie­ren in ihren Kurz­fil­men über die heim­keh­ren­den dal­ma­ti­ni­schen Män­ner die­sen Punkt. Das Ankom­men nach beschwer­li­cher, knapp einen Tag und eine Nacht dau­ern­der Auto­fahrt, das Ankom­men am alten Ort, der doch längst ein ande­rer gewor­den ist. Ein all­ge­mein mensch­li­cher Traum als Män­ner­traum, die Uto­pie vom Fort­be­stand der eige­nen Iden­ti­tät zwi­schen der schi­zo­phre­nen Spal­tung von alter und neu­er Hei­mat, gar­niert mit neu­en Autos, west­li­cher Unter­hal­tungs­elek­tro­nik und Feinstrumpfhosen.

Doch den Riss zwi­schen schlei­chen­der Ent­wur­ze­lung und Anpas­sungs­druck spürt vor allem die nächs­te Genera­ti­on. Bei den aus dem ehe­ma­li­gen Jugo­sla­wi­en aus­ge­wan­der­ten Her­an­wach­sen­den über­la­ger­ten sich die Kriegs­t­rau­ma­ta der 90er Jah­re mit den Fol­gen des Hei­mat­ver­lus­tes. Ganz unver­hofft ver­scho­ben sich bei den Eltern dabei auch die Geschlech­ter­rol­len. In ihrem auto­fik­tio­na­len Debüt­ro­man Ein schö­nes Aus­län­der­kind beschreibt die Autorin wie die beruf­li­chen Per­spek­ti­ven ihrer Eltern in Öster­reich nach ihrer Flucht zuneh­mend aus­ein­an­der­drif­ten. Wäh­rend die put­zen­de Mut­ter sich uner­müd­lich und hart­nä­ckig zurück in ihren alten Aka­de­mi­ker­be­ruf kämpft, bleibt dem eins­ti­gen Schiff­bau­in­ge­nieur über Jah­re jede Mög­lich­keit auf eine Arbeits­er­laub­nis ver­sperrt. „Der Vater wird zum Femi­nis­ten aus Ver­le­gen­heit, ein moder­ner Mann, der sich um Kind und Haus­halt küm­mert“. (Tobi­as Becker, Der Spie­gel) Er zieht sich immer mehr in sei­ne inne­re Welt zurück, macht sich wegen sei­ner unzu­läng­li­chen Deutsch­kennt­nis­se im öffent­li­chen Leben unsicht­bar, wirkt hilf­los wie ein Kind und wird der Toch­ter zuneh­mend peinlich.

Auch die Regis­seu­rin Rena­ta Lučić reflek­tiert in ihrem Film A YEAR OF END­LESS DAYS das brü­chi­ge Ver­hält­nis zum Vater, der seit dem arbeits­be­ding­ten Umzug sei­ner Frau nach Öster­reich allein in dem kroa­ti­schen Dorf zurück­ge­blie­ben ist. Fast belus­tigt beob­ach­tet sie aus der Distanz sei­nen zwang­haf­ten Drang zur Ord­nung, die Schlach­ten gegen Spinn­we­ben und Staub in dem ohne­hin pein­lich sau­ber geputz­ten Haus.

„Was hat uns Öster­reich gekos­tet?“ – zieht Iri­na am Ende ihres Roma­nes Bilanz – „Mei­nen Vater sei­ne Stim­me, mei­ne Mut­ter ihre Leben­dig­keit. Und mich? Mei­nen Vater.“ (df)