Wir wären so ger­ne Hel­den gewesen

Filmvorführung am 21. September 2025, dem ersten Todestag der Fotografin und Filmemacherin Barbara Metselaar Berthold um 17:30 Uhr in Anwesenheit von Freunden im Kino Krokodil.

Text von Matthias Dell

In Memo­ri­am Bar­ba­ra Met­sela­ar Berthold

Die Foto­gra­fin Bar­ba­ra Met­sela­ar Bert­hold hat vie­le Bil­der gemacht, und eins, das für den Doku­men­tar­film iko­nisch ist. Es zeigt den Kame­ra­mann Tho­mas Ple­nert (1951–2023), der mit Hel­ke Mis­sel­witz und Vol­ker Koepp, Jörg Foth und Jür­gen Bött­cher gear­bei­tet hat, und von dem es, obwohl er selbst dau­ernd Bil­der mach­te, gar nicht so vie­le offi­zi­el­le gibt. Das Bild, das Bar­ba­ra Met­sela­ar Bert­hold von Ple­nert gemacht hat, stammt vom Beginn der 1980er Jah­re. Es zeigt den Kame­ra­mann, wie er mit aus­ge­brei­te­ten Armen, in Man­tel, T‑Shirt, lan­ger Hose und San­da­len auf einem Dach steht. Genau­er: auf einem Schorn­stein auf einem Dach, wobei der Zustand des Schorn­steins erken­nen lässt, wie es dem Land geht, in dem er Dienst tut – der Schorn­stein ist in die Jah­re gekom­men, lebt von der Sub­stanz, Reno­vie­rung steht aus.

Das Bild von Tho­mas Ple­nert ist ein lus­ti­ges, was einer­seits vom Witz des Kame­ra­manns zeugt. Die Arme zu öff­nen, um das Flie­gen­wol­len im Scherz anzu­deu­ten. Das Bild ist ande­rer­seits auch ein bezeich­nen­des, wenn es nach etwas mehr als drei Minu­ten in dem Film Wir wären so ger­ne Hel­den gewe­sen kurz zu sehen ist. Die­sen Film hat Bar­ba­ra Met­sela­ar Bert­hold Mit­te der 1990er Jah­re gedreht, beim Doku­men­tar­film­fes­ti­val in Leip­zig gewann er 1996 die Sil­ber­ne Tau­be. Wir wären so ger­ne Hel­den gewe­sen erzählt von Frei­heit unter ver­schie­de­nen Umstän­den. Vom Seh­nen nach, Suchen von, Rin­gen mit, Schei­tern an. Des­halb ist das Bild vom flie­gen­wol­len­den Tho­mas Ple­nert so pas­send – ein komi­scher Vogel im Käfig DDR, in dem es sich, zumin­dest in Ber­lin-Prenz­lau­er Berg, wo Foto­gra­fin und Foto­gra­fier­ter zum Zeit­punkt des Bild­ma­chens leb­ten, eine Zeit­lang bes­ser aus­hal­ten ließ wegen der vie­len ande­ren und des Unernsts. Von einem nicht mal hüft­ho­hen Schorn­stein los­flie­gen zu wol­len, wenn man nicht flie­gen kann, ist ungefährlich.

Von Bar­ba­ra Met­sela­ar Bert­hold selbst wur­den auch Bil­der gemacht, und eins illus­triert die­sen Text. Auf­ge­nom­men mit ihrem Appa­rat, den aber der Doku­men­tar­fil­me­ma­cher Vol­ker Koepp in die Hand genom­men hat in Umkeh­rung der Pro­duk­ti­ons­ver­hält­nis­se. 1979, als Bar­ba­ra Met­sela­ar Bert­hold ihn beglei­te­te zu den Dreh­ar­bei­ten von Tag für Tag, dem Por­trät einer Schwei­ße­rin in Schwa­an. Die­ses Bild zeigt eine Frau in einem Werk, die lin­ke Hand auf ein Gelän­der gestützt. Bei einem flüch­ti­gen Blick könn­te man die Lei­nen-Tuni­ka auf dem schwarz­wei­ßen Foto für einen Arbeits­kit­tel hal­ten, aber spä­tes­tens an der Beu­tel­ta­sche ist der Abstand zu erken­nen, den Bar­ba­ra Met­sela­ar Bert­hold dis­tink­ti­ons­be­wusst (oder soll­te man sagen: damen­haft) zur Umge­bung hält. Das Werk ist nicht ihr Ort, aber in dem Blick dazu liegt kei­ne Über­heb­lich­keit; der geht an der Kame­ra vor­bei in Rich­tung Unge­wiss­heit. In die­sen Augen träumt etwas von mor­gen oder denkt an einen Zweifel.

Bar­ba­ra Met­sela­ar Bert­hold ist 2024 nach lan­ger Krank­heit gestor­ben. Gebo­ren wur­de sie 1951 in einem Dorf bei Chem­nitz, stu­dier­te in Jena Sozi­al­psy­cho­lo­gie und vor allem Foto­gra­fie in Leip­zig an der Hoch­schu­le für Gra­fik und Buch­kunst. 1976 zog sie nach Ber­lin, Prenz­lau­er Berg, durch die Bekannt­schaft mit Vol­ker Koepp und den ande­ren kam sie das ers­te Mal zum Film – als Stand­fo­to­gra­fin. “1984 hat­te ein hol­län­di­scher Freund die Lie­bens­wür­dig­keit und Unbe­denk­lich­keit, mich zu hei­ra­ten” – lau­tet die Aus­kunft in Wie wären so ger­ne Hel­den gewe­sen, der bei­läu­fig einen Strich unter die­se Ost-Ber­li­ner Zeit zieht. Der Satz davor heißt: “Im Lau­fe der nächs­ten Jah­re ver­lie­ßen unge­fähr drei Vier­tel mei­ner Freun­de das Land.” In West­ber­lin arbei­te­te Bar­ba­ra Met­sela­ar Bert­hold in Medi­en­werk­stät­ten und an Hoch­schu­le der Küns­te, und kam zum zwei­ten Mal zum Film – dies­mal als Autorin, Regis­seu­rin, Kame­ra­frau, Edi­to­rin. Wir wären so ger­ne Hel­den gewe­sen hat ästhe­tisch was von einem Home­vi­deo, ist Do-it-yourself und gewinnt dadurch die Frei­heit der Inti­mi­tät. Dass da nur zwei Per­so­nen sit­zen, alte Freun­de, und die Freun­din, die fragt, hat eine Kame­ra dabei.

Der Film ist Grup­pen­bio­gra­fie, eine Spu­ren­su­che, die zehn Jah­re nach der Aus­rei­se ver­sucht fest­zu­hal­ten, was ver­las­sen wor­den ist und sich zer­streut hat. Was war, was gewor­den ist. Die Schwie­rig­kei­ten bei der Rekon­struk­ti­on, das Trü­ge­ri­sche an so was wie Erin­ne­rung, steht am Anfang. Ein Mann, Mick, fläzt skep­tisch, also nicht-reprä­sen­ta­tiv, wie man’s im Home­vi­deo sein kann, in einem Ses­sel und mar­kiert sei­ne Zwei­fel: “Wie du die Leu­te dahin brin­gen willst, dahin­zu­kom­men, dass sie Aus­kunft geben und nicht ein­fach irgend­wie ihre Lieb­lings­vor­stel­lun­gen erzäh­len, wie das alles gewe­sen sein könn­te, wenn es denn so war?” Die Künst­le­rin Dag­mar Dem­ming fügt an: “Alles, was ich hier sage, ist auch nur ein Bild von der Zeit, ich weiß eigent­lich nicht mehr, wie es gewe­sen ist, also ich weiß es ein­fach nicht. Und ich weiß auch nicht, wer die damals war, die da war.”

Für das Wis­sen dar­um, wer man war, offe­riert der Titel des Films einen Kon­junk­tiv: Wir wären so ger­ne Hel­den gewe­sen erzählt von einer Genera­ti­on, der ers­ten in der damals neu­en DDR gebo­re­nen, die im Wes­ten 68er hät­ten wer­den kön­nen. Auch in der DDR ging es ums “Aus­sche­ren” aus dem Kon­for­mis­mus, um die Flucht vor der Vor­stel­lung, schon so zu wer­den wie alle auf den Dör­fern. Um “die Frech­heit, sich eine Frei­heit zu neh­men, die man nicht hat”, wie einer im Film sagt.

Die gibt es in Jena, Leip­zig, Ber­lin-Prenz­lau­er Berg oder in Parts­chefeld bei Rudol­stadt, dem Ver­such einer Kom­mu­ne. Immer geht es um Gemein­schaft, um eine DDR, in der es sich bes­ser lebt, wenn man sie sich als Netz aus Freun­den denkt. Dass in die­ser Gemein­schaft auch ein Gefäl­le gibt, regis­triert Bar­ba­ra Met­sela­ar Bert­hold im Film mit Blick auf den män­ner­do­mi­nier­ten Freun­des­kreis. “Die Weib­lich­kei­ten wech­sel­ten”, sagt einer, und die Nach­fra­ge nach dem War­um, ist dann “schwie­rig zu beant­wor­ten.” Iro­ni­scher­wei­se sind es denn aber die inter­view­ten Frau­en wie Dag­mar Dem­ming, die weni­ger ver­zag­ter in der Gegen­wart des ver­ei­nig­ten Deutsch­lands ange­kom­men sind. Denn auf den Auf­bruch in die Frei­heit folgt der Kater der Zer­streu­ung, von “geschmol­ze­nen Ker­nen” spricht einer – Freun­de gehen weg, man­che ins Gefäng­nis beim Ver­such, die DDR zu ver­las­sen, wel­che neh­men sich das Leben; sei­ne Toten bilan­ziert der Film am Ende.

Wir wären so ger­ne Hel­den gewe­sen von heu­te aus zu schau­en, ver­dop­pelt die Arbeit an der Erin­ne­rung, weil seit­dem fast so viel Zeit ver­gan­gen ist, wie rekon­stru­iert wird. Es bleibt ein loh­nen­des Unter­fan­gen: Bar­ba­ra Met­sela­ar Bert­holds Film wuss­te schon damals um die Brü­chig­keit, mit sich, sei­ner Zeit und sei­nen Träu­men iden­tisch zu sein.  … | Mat­thi­as Dell

Pro­gramm Krokodil

21. Sep­tem­ber (Sonn­tag)

17.30 Uhr

WIR WÄREN SO GER­NE HEL­DEN GEWESEN

D 1995/1996, 123 min

Regie: Bar­ba­ra Met­sela­ar Berthold

Sil­ber­ne Tau­be beim 39. Doku­men­tar­film­fes­ti­val Leipzig

„Im Osten waren wir ja wel­che, die gedacht haben, wir sind die Avant­gar­de. Also, wir den­ken schnel­ler, wir wis­sen mehr, wir fei­ern die bes­se­ren Fes­te, wir haben die tol­le­ren Frau­en. Und dann kommst du in den Wes­ten…“ (Peter Wie­de­mann)