Куда мы едем? (Wo geht’s hin? / Whe­re Are We Headed?)

Bela­rus / Russ­land 2021, 63 min, rus­si­sche Ori­gi­nal­fas­sung mit dt. UT

Regie: Rus­lan Fedotov

Roll­trep­pen, Dun­kel, Neon-Licht, Tun­nel, rat­tern­de Züge und dann: prunk­vol­le Kup­peln und War­te­be­rei­che, soz­rea­lis­ti­sche Skulp­tu­ren. Den Rhyth­mus des Films gibt der Weg der Pendler:innen in und durch den Unter­grund vor. Müde sind die Gesich­ter der Men­schen, die die end­lo­sen Roll­trep­pen hin­un­ter­fah­ren. Sie schie­ben sich durch die Rush-Hour, die U‑Bahnen der Mos­kau­er Metro sind voll. Der Krieg gegen die Ukrai­ne hat noch nicht ange­fan­gen: Müt­ter drü­cken ihre Kin­der in die Züge. Doch es gibt auch ande­re Tage: das rus­si­sche Neu­jahr, an dem die Anspra­che Putins auf Bild­schir­men über­tra­gen wird, und der „Tag des Sie­ges“, der auch in der Metro gefei­ert wird. Hier wird (ille­gal) ver­kauft, gesun­gen und auch ver­haf­tet, denn die Poli­zei ist all­ge­gen­wär­tig. Die U‑Bahn scheint mehr als nur ein Trans­port­mit­tel. Weil sie so schön sind wie andern­orts Palast­foy­ers oder die Ein­gangs­be­rei­che von Ban­ken, die etwas auf sich hal­ten, wer­den die U‑Bahnstationen Mos­kaus auch „unter­ir­di­sche Paläs­te“ genannt.

Regis­seur Rus­lan Fedo­tov beob­ach­tet die Pas­sa­gie­re im Ver­lauf eines Jah­res bei­na­he unbe­merkt beim Dis­ku­tie­ren, Flir­ten, Strei­ten. Dabei ent­ste­hen über­ra­schen­de, wit­zi­ge, schö­ne und erschre­cken­de Bil­der, die den Men­schen sehr nah kom­men. (goE­ast 2022)

„WO GEHT’S HIN? mon­tiert Beob­ach­tun­gen aus Mos­kaus Metro übers Jahr gesam­melt zu einer Sin­fo­nie aus Bewe­gung und Begeg­nun­gen – mit Putins Neu­jahrs­an­spra­che 2021, dem Tag des Sie­ges, Poli­zei­ein­sät­zen und dem absur­den Treff von US-Ser­geants mit ange­trun­ke­nen Ser­gean­ten Russ­lands.“ (Oschat­zer All­ge­mei­ne, 26.04.22)

„Fes­ti­vals sei­en wich­tig für Film­schaf­fen­de, aber nichts im Ver­gleich zum Krieg. Dar­in sind sich alle ukrai­ni­schen Fil­me­ma­che­rin­nen einig, was die Details des Boy­kotts betrifft, gibt es Unter­schie­de. Der bela­rus­si­sche Regis­seur Rus­lan Fedo­tov (…) hat volls­tes Ver­ständ­nis für die Boy­kott­for­de­run­gen. Aber er fin­det einen gene­rel­len Boy­kott falsch. Sei­ne ukrai­ni­schen Freun­de, sagt Fedo­tov, waren von sei­nem Film begeis­tert. Er hat den Doku­men­tar­film WO GEHT’S HIN? in der Mos­kau­er U‑Bahn gedreht, und dort erlebt man nicht nur ein inter­es­san­tes Kalei­do­skop rus­si­schen All­tags, son­dern auch eine ver­stö­rend mili­ta­ri­sier­te Gesell­schaft mit Hor­den als Sol­da­ten kos­tü­mier­ter Män­ner. Es ist ein beängs­ti­gen­der Film, sagt Fedo­tov, der gera­de in Buda­pest studiert.Als Fedo­tov den Film einem unga­ri­schen Leh­rer zeig­te, hät­te der zu ihm gesagt: Jetzt wür­de ihm eini­ges kla­rer über die­sen Krieg.“ (deutsch​land​funk​kul​tur​.de)

„Zu den denk­wür­digs­ten Fil­men des Fes­ti­vals, die die aktu­el­le Situa­ti­on greif­bar machen, gehört auch eine unab­hän­gi­ge rus­si­sche Pro­duk­ti­on (…): Der Doku­men­tar­film WO GEHT’S HIN? von Rus­lan Fedo­tov, einem bela­rus­si­schen Fil­me­ma­cher. Der Film ist ein Por­trät der rus­si­schen Gesell­schaft, das sich aus Moment­auf­nah­men in der Mos­kau­er Metro zusam­men­setzt. Fedo­tov ist dabei weni­ger an den prunk­vol­len sowje­ti­schen Sta­tio­nen oder am Ver­kehrs­mit­tel Metro selbst inter­es­siert. Es geht ihm um die Men­schen, die unter­wegs sind, ihre Gesprä­che und Inter­ak­tio­nen. So ist ein dunk­ler Film ent­stan­den, der viel Abgrün­di­ges wie Armut, Gewalt und Alko­ho­lis­mus zeigt. Auch der rus­si­sche Staat, Patrio­tis­mus und Mili­tär sind erschre­ckend prä­sent, wenn man bedenkt, dass hier nur U‑Bahn-Fahr­ten gefilmt wur­den. Gro­ße Grup­pen von Sol­da­ten fei­ern sich selbst, patrio­ti­sche Demons­tran­ten rufen etwas von ‚Sieg‘, und bei Pro­tes­ten gegen die Regie­rung sieht man vor allem eines: Unmen­gen von Poli­zis­ten in vol­ler Mon­tur, die ein­zel­ne Fahr­gäs­te gegen die Wand drü­cken und durch­su­chen. Putins Neu­jahrs­an­spra­che und die Mili­tär­pa­ra­de vom 9. Mai wer­den auf Bild­schir­men in den Sta­tio­nen über­tra­gen. Beson­ders im Gedächt­nis bleibt eine Sze­ne, die Fedo­tov in einer über­ir­di­schen Metro-Sta­ti­on ein­ge­fan­gen hat. Eine Grup­pe Poli­zis­ten schaut durch die Fens­ter auf ein Feu­er­werk in Weiß, Blau und Rot. Es ist, wie vie­le von Fedo­tovs Auf­nah­men, eine poe­ti­sche, fil­misch schön anzu­se­hen­de Sze­ne, in der den­noch das Gewalt­sa­me der gegen­wär­ti­gen rus­si­schen Gesell­schaft über­deut­lich sicht­bar wird. Aber die gru­se­ligs­ten Din­ge, die Fedo­tov gefilmt hat – zum Bei­spiel Wag­gons vol­ler Kin­der in mili­tä­ri­schen Uni­for­men -, hat er gar nicht ver­wen­det, erzählt Fede­tov im Gespräch. Er woll­te WO GEHT’S HIN nicht ganz so düs­ter machen, hat eine schö­ne, hoff­nungs­vol­le Sze­ne ans Ende gestellt. Trotz­dem gibt der Film, der vor Beginn des rus­si­schen Angriffs­krie­ges fer­tig­ge­stellt wur­de, sehr wohl ein Gefühl dafür, wo es hin­geht mit der rus­si­schen Gesell­schaft, in wel­chem Kon­text sich die aktu­el­len Ereig­nis­se bewe­gen und wie es so weit kom­men konn­te.“ (Nor­ma Schnei­der über das goE­ast Film­fes­ti­val 22, nd​-aktu​ell​.de)

VOR­FILM: Ласточкины хвосты / Swallowtails