Der Kuss des Grashüpfers

Deutsch­land / Luxem­burg / Ita­li­en 2025, 129 min, deut­sche Originalfassung

Regie: Elmar Imanov

„Ein Kuss ist etwas, das einen Men­schen ver­än­dern kann. Hier ist es eine Ver­ab­schie­dung – von sich selbst, einem frü­he­ren Ich, da man nie wie­der so sein wird, wie man bis­her war, wenn man einen Eltern­teil ver­liert. Der Kuss begrüßt die Ver­än­de­rung, wenn man ahnt, dass man dabei ist, sich zu häu­ten wie eine Schlan­ge, und dann eine neue Haut bekommt. Ich dach­te mir, dass die­ser Titel das sym­bo­li­siert, denn der Film ist ja nicht nur düs­ter, es gibt auch ein biss­chen Slap­stick, Komik und Poe­sie. Und Schö­nes, wie bei einem Kuss.” (Elmar Imanov)

Der Schrift­stel­ler Ber­nard lebt in einer magisch-rea­lis­ti­schen Welt mit einem Schaf und in einer tur­bu­len­ten Bezie­hung zu sei­ner Freun­din Aga­ta. Ein men­schen­gro­ßer Gras­hüp­fer taucht auf. Ber­nard erfährt von der töd­li­chen Dia­gno­se sei­nes Vaters und muss sich mit der Zer­brech­lich­keit des Lebens und dem Sinn sei­ner eige­nen Exis­tenz aus­ein­an­der­set­zen. Regis­seur Elmar Ima­nov reflek­tiert in dem von ihm auch geschrie­be­nen Film DER KUSS DES GRAS­HÜP­FERS sein eige­nes Ver­hält­nis zu sei­nem Vater und die Gefüh­le von Ver­lo­ren­heit und Sur­rea­li­tät, die des­sen Tod in ihm aus­ge­löst haben und ihn zwin­gen, sich selbst und sei­ne Welt neu zu definieren.

„Ich wur­de im Som­mer 1985 in Baku, der Haupt­stadt Aser­bai­dschans, als Sohn eines Archi­tek­ten und einer Künst­le­rin gebo­ren. Mei­ne Kind­heit erleb­te ich also in einem der schwie­rigs­ten Zeit­ab­schnit­te in der Geschich­te mei­nes Lan­des. Der Berg­ka­ra­bach-Krieg erreich­te sei­nen Höhe­punkt, Poli­zis­ten ver­dien­ten an Schutz­gel­dern, die Kri­mi­na­li­täts­ra­te explo­dier­te, und mein Vater arbei­te­te als Archi­tekt Tag und Nacht, um uns zu ernäh­ren. Ich ver­brach­te des­halb viel Zeit bei mei­nen Groß­el­tern und auf der Straße.

Ich erin­ne­re mich gut dar­an, wie mein Vater mich ein­mal von der Schu­le abhol­te. Es war gegen 14 Uhr im Som­mer 1993. Ich freu­te mich, ihn zu sehen. Er nahm mich an die Hand und wir gin­gen aus der Schu­le. Er sag­te mir noch, dass wir bei der Brot­fa­brik, die direkt neben mei­ner Schu­le war, vor­bei­ge­hen müss­ten, um Brot zu kau­fen. As wir spä­ter zuhau­se anka­men, war es schon dun­kel. Wir hat­ten den gan­zen Tag in der rie­si­gen Schlan­ge an der Brot­fa­brik gestan­den und hat­ten Angst, es wegen der abend­li­chen Aus­gangs­sper­re nicht nach Hau­se zu schaf­fen. Wenn wir mal zusam­men waren, spra­chen wir viel mit­ein­an­der. Als Archi­tekt hat er seit mei­ner Kind­heit mei­nen Sinn für den mich umge­ben­den Raum geschärft. Der Gedan­ke, dass der Raum, der uns umgibt, oft gemacht und aus­ge­dacht ist, beglei­te­te mich schon sehr früh. Er zeig­te mir auch, wie man Rea­li­tät umge­stal­ten kann, zum Bei­spiel durch das Ver­schie­ben von Wän­den oder die Anord­nung und Rei­hen­fol­ge von Bäu­men und Räumen.

1998 sie­del­ten wir nach Deutsch­land über. Die Zeit hier war aus Sicht mei­ner Fami­lie eine viel fried­vol­le­re und schö­ne­re Zeit. Wir reis­ten viel und ver­brach­ten aus­ge­spro­chen lebens­be­ja­hen­de Jah­re in der Woh­nung in Köln-Ehren­feld, wo ich auf­ge­wach­sen bin. Ich mach­te das Abitur, muss­te mit dem Mob­bing in deut­schen Schu­len kämp­fen. Wir freu­ten uns gemein­sam über die Zulas­sung zum Film­stu­di­um, über den Stu­den­tenos­car und die Can­nes-Teil­nah­me. Ich reis­te mit den Fil­men viel durch die Welt und manch­mal schaff­te ich es nicht ganz bis nach Hau­se. Dann brach­te mein Vater mir ein fri­sches wei­ßes Hemd, das er zuvor gebü­gelt hat­te, zum Bahn­hof, wo wir noch eine gemein­sa­me Ziga­ret­te rauch­ten und einen Kaf­fee tran­ken, bevor ich weiterzog.

Bis im Win­ter 2014 die ver­nich­ten­de Dia­gno­se alles ver­än­der­te: SCLC – klein­zelli­ges Lun­gen­kar­zi­nom. Lun­gen­krebs im End­sta­di­um. Wir wuss­ten alle: in 12 Mona­ten stirbt er. Es war ein sehr unfai­res und erdrü­cken­des Gefühl. Ich wuss­te, nie­mand kann ihn jetzt ver­ste­hen, ab jetzt ist er ein­sam bis zum Tod. Eine Welt brach für mich zusam­men. Das äußer­te sich auf unter­schied­li­che Wei­se: mal in Trä­nen und mal hyper­ak­tiv auf einer Par­ty. Ich stürz­te in die Tie­fe und war wie ein Geist. Als mein Vater nach 10 Mona­ten starb, begann ich einen lang­sa­men Weg zurück ins Leben. Als ich ein Jahr, nach­dem er gestor­ben war, aus mei­ner Betäu­bung auf­wach­te, schrieb ich das Dreh­buch. Heu­te, wenn ich zurück­bli­cke, bin ich ein ande­rer Mensch.“ (Elmar Ima­nov, arse​nal​-ber​lin​.de/forum)

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Inter­viewaus­zug, Elmar Ima­nov und Eva Blon­diau im Gespräch mit Chris­tia­ne Büch­ner und Bar­ba­ra Wurm, Forum 2025:

BW: (…) Der Film macht es sich auch ästhe­tisch nicht leicht, indem er irgend­wel­che Abs­trak­ti­ons­ebe­nen sucht, son­dern geht mit­ten rein in ein klas­si­sches Film­kern­ge­schäft. Ich fand hier­bei die Arbeit mit den Schauspieler*innen abso­lut her­aus­ra­gend und zen­tral, gera­de weil man sie auch aus dem TV- und Seri­en­kon­text kennt. Wie hast du kon­kret mit ihnen gearbeitet?

EI: Ich hat­te Glück, dass ich sie gefun­den habe. Bei jedem Film ist die Arbeit mit den Schau­spie­lern anders. Mei­ne frü­he­ren Fil­me habe ich mit den Schau­spie­lern impro­vi­siert. Bei END OF SEA­SON zum Bei­spiel wuss­ten wir bei Dreh­be­ginn nicht, wie der Film enden wird. Beim KUSS DES GRAS­HÜP­FERS war es so, dass die Spra­che eine zen­tra­le Bedeu­tung bekom­men hat, dass eine bestimm­te Melo­die ent­stand, in dem, was ich geschrie­ben habe und wie die Schau­spie­ler es inter­pre­tiert haben. Meis­tens geben wir unse­ren Fil­men eine eng­lisch­spra­chi­ge Iden­ti­tät, damit die Leu­te wis­sen, das ist für alle gedacht, der Film ist nicht lokal. Hier war mir aber wich­tig, dass es in den Credits alle Äs und Üs der deut­schen Spra­che gibt. Es war uns wich­tig, zu sagen, dass es ein deut­scher Film ist.

BW: Trotz­dem ist es eine sehr inter­na­tio­na­le Pro­duk­ti­on. Waren jemals zuvor so vie­le Georgier*innen an einem deut­schen Film beteiligt? 

EB: Der Film war von Anfang an eine deutsch-ita­lie­nisch-luxem­bur­gi­sche Co-Pro­duk­ti­on. Wir haben die Hälf­te des Drehs in Geor­gi­en gemacht, weil wir den Film über Jah­re finan­ziert haben, in denen alle Prei­se enorm stie­gen. Wir haben vor der Pan­de­mie ange­fan­gen, und waren am Ende sehr unter Zeit­druck, sodass wir auch gar nicht das Bud­get anpas­sen konn­ten an das, was der Film eigent­lich an finan­zi­el­len Mit­teln gebraucht hät­te. Und das war dann unse­re Lösung, wie wir mit einem eigent­lich zu klei­nen Bud­get trotz­dem den Film machen konn­ten, den wir woll­ten. Elmar und mir ist das total ent­ge­gen­ge­kom­men, weil wir schon vie­le Fil­me in Geor­gi­en gedreht haben, aber noch kei­nen in Deutsch­land gemacht hat­ten. Inso­fern waren wir froh, dass wir dort mit Leu­ten zusam­men­ar­bei­ten konn­ten, die wir schon kann­ten. Das hat einen ent­schei­den­den Ein­fluss auf den Film genom­men, da waren wirk­lich krea­ti­ve Künst­ler dabei, die alles Mög­li­che ein­ge­bracht haben. 

EI: Und in Geor­gi­en sind die bes­ten Leu­te alle jung, zwi­schen 20 und 35, unüb­lich in einer Film­in­dus­trie. Die haben sich die Indus­trie nach dem Zusam­men­bruch selbst wie­der auf­ge­baut. Die Leu­te dort kön­nen unglaub­li­che Sachen…“ (voll­stän­di­ges Inter­view unter: https://​www​.arse​nal​-ber​lin​.de/​f​o​r​u​m​-​f​o​r​u​m​-​e​x​p​a​n​d​e​d​/​p​r​o​g​r​a​m​m​-​f​o​r​u​m​/​h​a​u​p​t​p​r​o​g​r​a​m​m​-​2​0​2​5​/​d​e​r​-​k​u​s​s​-​d​e​s​-​g​r​a​s​h​u​e​p​f​e​r​s​/​i​n​t​e​rview/