Dou­ble Fea­ture: DIE STÜR­MER + ISRA­EL 74

JFBB Sek­ti­on: BRUCH ODER KON­TI­NUI­TÄT? “ANTI­ZIO­NIS­MUS” UND ANTI­SE­MI­TIS­MUS IM SOZIA­LIS­MUS UND DANACH

DIE STÜR­MER
Dago­bert Loe­wen­berg, DDR 1967, 10 min, Dok, OF
Sprach­fas­sung: Deutsch


„Wer stür­men will, greift zu Stür­mer-Metho­den.“ Der Satz bil­det das Leit­mo­tiv von DIE STÜR­MER,
einer Pro­duk­ti­on aus der Redak­ti­on der DEFA-Kino­wo­chen­schau DER AUGEN­ZEU­GE. Der Bezug
zu Juli­us Strei­chers Hetz­blatt war gewollt. ‚Isra­el‘: Das bedeu­te­te 1967 in ost­deut­schen Medi­en
Gewalt, Zer­stö­rung und Expansion.

Ver­glei­che mit dem NS-Ver­nich­tungs­krieg und bibli­sche Rache­mo­ti­ve gehör­ten seit dem Sechs­ta­ge­krieg zum fes­ten Reper­toire der DDR-Pro­pa­gan­da. DIE STÜR­MER pole­mi­siert in einer Mon­ta­ge aus abge­film­ten Pres­se­ar­ti­keln gegen Isra­el und die Bun­des­re­pu­blik glei­cher­ma­ßen. Ana­lo­gien zwi­schen der Situa­ti­on im Nahen Osten und den bei­den deut­schen Staa­ten wer­den her­ge­stellt, die Israe­lis zu Erben der Wehr­macht gemacht und ein Bedro­hungs­sze­na­rio errich­tet, das die ara­bi­schen Staa­ten und die DDR zu Opfern einer impe­ria­lis­ti­schen Glo­bal­stra­te­gie fantasiert.

ISRA­EL 74 (Teil 1 und 2)
Sabi­ne Kat­ins, DDR 1974, je 37 min, Dok, OF
Sprach­fas­sung: Deutsch

„Wir blick­ten in das Inne­re des Lan­des, in die Gesich­ter sei­ner Bewoh­ner wäh­rend der Wochen nach dem Okto­ber­krieg 1973“, schreibt Neu­es Deutsch­land, als das DDR-Fern­se­hen im März und April 1974 die zwei­tei­li­ge Doku­men­ta­ti­on ISRA­EL 74 aus­strahlt. Poli­ti­sche Pro­pa­gan­da meets Reisereportage.

Fernsehzuschauer:innen konn­ten in ISRA­EL 74 erst­mals län­ge­re Auf­nah­men von Land und Leu­ten sehen – etwas durch­aus Unge­wöhn­li­ches, denn kein Film­team aus der DDR hat­te bis­her auf­grund feh­len­der for­mel­ler Bezie­hun­gen vor Ort gedreht. Die Auf­nah­men, wie auch die Inter­views mit Israe­lis und Palästinenser:innen, waren frei­lich sorg­fäl­tig aus­ge­wählt und mani­pu­la­tiv zusam­men­ge­stellt: gespreng­te ara­bi­sche Dör­fer und „schwer­be­waff­ne­te Besat­zer“, Tel Avi­ver Dia­man­ten­bör­se und Elends­vier­tel, „israe­li­sche Bour­geoi­sie“ auf der einen Sei­te und „ori­en­ta­li­sche Juden“ und „ara­bi­sche Arbeits­skla­ven“ auf der ande­ren. Anti­se­mi­ti­sche Kli­schees und Ver­glei­che mit NS-Deutsch­land und Süd­afri­ka misch­ten sich mit soge­nann­ten Klas­sen­fra­gen. Gedreht hat­te die Repor­ta­ge die pro­duk­ti­ve wie geheim­nis­um­wit­ter­te „Grup­pe Dr. Kat­ins“, eine Pro­duk­ti­ons­ge­mein­schaft von west­eu­ro­päi­schen Kame­ra­leu­ten und Inter­view­ern und ost­deut­schen Redakteur:innen und Schnittmeister:innen. Auf der Inter­na­tio­na­len Leip­zi­ger Doku­men­tar- und Kurz­film­wo­che 1975 wur­de ISRA­EL 74 mit dem Preis der PLO aus­ge­zeich­net – seit 1973 nahm regel­mä­ßig eine Dele­ga­ti­on der PLO am Fes­ti­val teil, dar­un­ter ehe­ma­li­ge paläs­ti­nen­si­sche Stu­den­ten der Film­hoch­schu­le Babels­berg, hier ver­gab die PLO einen Ehren­preis und knüpf­te Kon­tak­te. Tei­le der Auf­nah­men aus ISRA­EL 74 wur­den in spä­te­re Kopro­duk­tio­nen zwi­schen der DEFA und der PLO mon­tiert, wie etwa in GEBO­REN IN PALÄS­TI­NA (PLO/DDR, 1975, R: Rafik Hajjar).


Dou­ble Fea­ture DIE STÜR­MER & ISRA­EL 74

Nach einer kur­zen Pha­se der Sym­pa­thie für den jun­gen jüdi­schen Staat wur­de Isra­el von der Regie­rung und den Medi­en der DDR zuneh­mend zum Feind­bild auf­ge­baut – nach der Logik des Kal­ten Krie­ges, beein­flusst vom deutsch-deut­schen Kon­flikt und einem anti­zio­nis­ti­schen Para­dig­ma. Der Effekt war mit­un­ter ver­hee­rend. Anti­se­mi­ti­sche Nar­ra­ti­ve und Bil­der wur­den repro­du­ziert und Gräu­el­pro­pa­gan­da ver­brei­tet, am Ende erschien das Exis­tenz­recht Isra­els in Fra­ge gestellt.

Text: Lisa Schoß