LEBEN­DE WARE

JFBB Sek­ti­on: BRUCH ODER KON­TI­NUI­TÄT? “ANTI­ZIO­NIS­MUS” UND ANTI­SE­MI­TIS­MUS IM SOZIA­LIS­MUS UND DANACH

LEBEN­DE WARE
Wolf­gang Lude­rer, DDR 1966, 97 min, Spiel­film, OF
Sprach­fas­sung: Deutsch

Ungarn 1944, ein unge­heu­rer Han­del in der End­pha­se der Sho­ah: Kön­nen die unga­ri­schen Jüdin­nen und Juden frei­ge­kauft wer­den? SS-Ober­sturm­bann­füh­rer Kurt A. Becher und der jüdi­sche Ver­hand­lungs­füh­rer Rudolf Kas­t­z­ner ver­han­deln. Kas­t­z­ner wird mit die­sem Film Pro­jek­ti­ons­fi­gur für eine pole­mi­sche Aus­ein­an­der­set­zung der DDR mit dem „Zio­nis­mus“.

Im Gefol­ge sei­ner Rei­sen nach Isra­el und sei­ner geschei­ter­ten Bemü­hun­gen um eine Neben­kla­ge­ver­tre­tung im Jeru­sa­le­mer Eich­mann-Pro­zess, bot der umtrie­bi­ge Jurist und Publi­zist Fried­rich Karl Kaul der DEFA ein Film­ex­po­sé an, das unmit­tel­bar an den Pro­zess anknüpf­te. In Jeru­sa­lem waren u.a. die Depor­ta­tio­nen der unga­ri­schen Jüdin­nen und Juden zur Spra­che gekom­men und die Fra­ge, ob sie hät­ten geret­tet wer­den kön­nen. In einem Neben­ein­an­der von Detail­ge­nau­ig­keit und mani­pu­la­ti­ver Ver­fäl­schung erzählt LEBEN­DE WARE, wie Eich­mann die Depor­ta­tio­nen vor­be­rei­tet, wäh­rend Himm­lers Son­der­be­auf­trag­ter, SS-Ober­sturm­bann­füh­rer Becher, unga­risch-jüdi­sches Eigen­tum beschlag­nahmt. Unter den begehr­ten Objek­ten befin­det sich der größ­te Rüs­tungs­kon­zern Ungarns, die Man­fréd-Weiss-Wer­ke. Die jüdi­schen Inha­ber­fa­mi­li­en über­hän­di­gen Becher die ‚Treu­hand­schaft‘ und dür­fen im Gegen­zug aus­rei­sen. Der von Eich­mann instal­lier­te ‚Juden­rat‘ sieht in die­sem ‚Frei­kauf‘ eine Chan­ce: Kasz­t­ner plä­diert vehe­ment für sol­che „Geschäf­te“ und über­nimmt die Ver­hand­lun­gen mit den Deut­schen. Becher ergreift sofort die Gele­gen­heit, sich zu berei­chern. Doch auch Kasz­t­ner agiert nicht unei­gen­nüt­zig. Der rea­le Becher, der spä­ter unge­bro­chen in der Bun­des­re­pu­blik Kar­rie­re in der Wirt­schaft mach­te, war der per­fek­te Böse­wicht für einen ost­deut­schen Spiel­film. Aber wel­ches Ziel ver­folg­te die Pro­duk­ti­on mit der Dar­stel­lung Kasz­t­ners als zwie­lich­ti­gem Kol­la­bo­ra­teur auf Kos­ten der jüdi­schen Bevöl­ke­rung? In den Augen der Fil­me­ma­cher nahm der Zio­nist Kasz­t­ner und sei­ne „Geschäf­te“ mit dem Nazi Becher die „Ach­se Bonn-Tel Aviv“ vor­weg. Kasz­t­ner, dem 1955 ein israe­li­sches Gericht vor­warf, „sei­ne See­le dem Satan“ ver­kauft zu haben, war für Kaul hier Pro­jek­ti­ons­fi­gur für eine Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Zio­nis­mus und Israel.

Text: Lisa Schoß