Indien / Japan / Italien / Dänemark / Norwegen 2012, 88 min, Bengali mit englischen UT
Regie: Sourav Sarangi
Char ist eine Insel im Grenzfluss zwischen Indien und Bangladesch, auf der ein Junge namens Rubel mit seiner Familie und anderen Vertriebenen lebt. Die Insel entstand wie ein Geschenk, das der Fluss den Menschen als Zuflucht bot, nachdem er ihr angestammtes Dorf mit den steigenden Wasserständen fortgerissen hat. Doch das Geschenk ist auf Sand gebaut, eine flüchtige ökologische Reaktion nach der Inbetriebnahme des Staudamms flussaufwärts. Notgedrungen haben sich die Menschen – ähnlich wie die Vögel – das neue Terrain zu Nutze gemacht und ein Schmugglergeschäft aufgebaut. Vieh, Alkohol, Reis und andere Waren werden mit bewundernswerter Raffinesse an den Grenzposten vorbeigeschleust: ein heroischer Überlebenskampf, der gerade genug hergibt, um Rubel von einer besseren Zukunft träumen zu lassen, obwohl (oder weil) Char nur eine Station in seinem Leben sein wird. Sourav Sarangi hat diesen unglaublich nassen Mikrokosmos über mehrere Jahre beobachtet und mit unterschiedlichen Kameras heterogenes, zuweilen fast apokalyptisches Bildmaterial eingefangen. Seine Erzählung über das Heranwachsen des Jungen hat jedoch ein offenes Ende, in das sich ein seltsam schönes Gefühl von Bewunderung mischt. (Berlinale 2013)
“Vor zehn Jahren machte ich eine ungewöhnliche Beobachtung: Ein kleines indisches Dorf namens Pasrashpur an der Grenze zu Bangladesch verschwand vor meinen Augen. Bäume, Häuser, Straßen – alles, außer den Menschen, wurde langsam von den Fluten des Ganges weggespült. Die gesamte Landschaft, die vom Fluss und den dort lebenden Menschen über lange Jahre hinweg geformt worden war, ging unter in den hungrigen Wellen. Es geschah ganz langsam: Zuerst bemerkt man einen kleinen Riss im Boden. Dann wird er langsam größer. Die Wurzeln des Grases versuchen noch sich zu halten. Nach einer kleinen Weile fällt das Stück Ufer, auf dem man eben noch gestanden hat, laut platschend ins Wasser. Manchmal bricht die Erde fast lautlos weg, wie in Zeitlupe. Das Land wird gefressen wie das hypnotisierte Opfer einer Anakonda.
Die Bewohner jenes Dorfes berichteten Ähnliches: „Der Ganges hat sich an der Stelle in eine Schlange verwandelt.“ In meiner Kindheit hieß es, der Ganges ist wie eine Mutter. Ein Mythos. Anmutig und von den Göttern verehrt, entspringt der Fluss dem Himmel und spendet den Sterblichen Lebenskraft. Bereits eine kurze Berührung mit dem Wasser des Ganges kann die Menschen von all ihren Sünden befreien und ihnen Erlösung bringen!
Mutter Ganges – eine Schlange?
Der Dorfbewohner entgegnete: „Erst seitdem es den Farakka-Staudamm gibt, hat Mutter Ganges sich in eine Schlange verwandelt. Die moderne Technologie hat sie am Nacken gepackt. Um sich zu retten, schlägt sie um sich und nimmt uns, was sie uns in den letzten Jahren gegeben hat – das kostbare Land.“
Das Gespräch mit diesem weisen Analphabeten aus einer der entlegensten Regionen Indiens relativierte den Mythos von Mutter Ganges für mich auf einen Schlag. Ich erkannte: Der neue Mythos heißt Entwicklung, und dieses neue Mantra hat die Träume ausgerechnet jener Millionen Menschen zerstört, die zuallererst vom Fortschritt hätten profitieren sollen, deren Vorfahren seit Jahrhunderten in Wüsten, Bergregionen, Wäldern, Ebenen, an Seen und Flüssen gelebt hatten.” (Sourav Sarangi, 2013)
Rubel, fourteen-years-old, smuggles rice from India to Bangladesh by crossing the river
Ganga, fixed as the international border. The same river eroded his home when he was just
four.
Years later a fragile island called Char was formed within the large river. Rubel’s family and
many homeless people settled in this barren field controlled by the border police.
Meet Sofi, ten-years-old. His father got shot while smuggling cows. He has no option but
follow the same trail. Sofi’s sleepless mother shivers at each sound at night while the boy is
still away; sounds of bullets are not rare here.
The families are all scattered today but the kids meet on their endless journey while crossing
borders, help each other on a lost track of their childhood.
In summer wind blows strong, in monsoon the river swells up flooding the whole island. At
some distance stands a colossal dam (barrage) built by India to change people’s lives by
controlling the mighty river. The grand plan did not help Rubel, Sofikul and their families. In
fact, it made them homeless, refugees on their own land by accelerating the river erosion.
And the river being made the border it is now a parody of existence, humanity and
nationhood.
We travel with Rubel to the cracking edge of the island in a flooded landscape.
Will Char erode too?
‘Char may disappear but we won’t’, smiles the boy.