SECRET // DAS GEHEIMNIS

JFBB Sek­ti­on: BRUCH ODER KON­TI­NUI­TÄT? “ANTI­ZIO­NIS­MUS” UND ANTI­SE­MI­TIS­MUS IM SOZIA­LIS­MUS UND DANACH. TEIL II: ANTI­SE­MI­TIS­MUS IM POSTSOZIALISMUS

Prze­mys­ław Wojci­es­zek, PL 2012, 82 min, OmU (Eng­lisch + Deutsch), Spielfilm

Ori­gi­nal­spra­che: Polnisch

Beset­zung: Tomasz Tyn­dyk, Agnieszka Pod­siad­lik, Marek Kepinski

Ksa­we­ry ist schwul, Karo­li­na Jüdin. Die bei­den besu­chen Ksa­we­rys Groß­va­ter Jan auf dem Land. Ein wun­der­schö­nes Haus am See, Idyl­le. Doch es ver­birgt ein düs­te­res Geheim­nis, über das Jan, der Natio­na­list, nicht spre­chen will. Karo­li­na schon. Eine kom­ple­xe Fami­li­en­auf­stel­lung, eine wütend-zärt­li­che Metapher.

Frü­her gehör­te das Haus, in dem Jan jetzt wohnt, Tzvi­ka Aiger­man. Der hat die Shoa über­lebt und woll­te eigent­lich in sein Haus zurück­keh­ren, doch er ver­schwand spur­los. Jan hat nie über die­se Zeit gespro­chen, nicht wäh­rend des Sozia­lis­mus, und auch nicht danach. Als Karo­li­na ver­sucht, ihn zur Rede zu stel­len, reagiert er wütend. Und auch Ksa­we­ry will eigent­lich nicht über die Ver­gan­gen­heit reden: sein Groß­va­ter ist sein Groß­va­ter, die bei­den lie­ben sich, auch wenn Jan aus poli­ti­schen Grün­den für Schwu­le gar nichts übrig hat, für sei­nen Enkel aber schon.

Film- und Thea­ter­re­gis­seur Prze­mys­ław Wojci­es­zek spielt mit sei­nem sechs­ten Spiel­film auf den Wunsch vie­ler Pol:innen an, den pol­ni­schen Anti­se­mi­tis­mus wäh­rend und nach dem Zwei­ten Welt­krieg unter den Tep­pich zu keh­ren. Die The­ma­ti­sie­rung von Nach­kriegs-Pogro­men wie etwa dem von Kiel­ce, bei dem 1946 über 40 Jüdin­nen und Juden ermor­det wur­den, führt bis heu­te zu „Nestbeschmutzer“-Vorwürfen, wie Michal Jas­kulskis und Law­rence Loewin­gers Doku­men­ta­ti­on BOGD­ANS REI­SE (eben­falls im Pro­gramm des JFBB 2025) zeigt. Die fami­liä­re Zunei­gung zwi­schen Jan und Ksa­we­ry macht den Streit nicht ein­fa­cher: wech­sel­sei­tig wird immer ein ande­rer zum Außen­sei­ter in die­ser toxi­schen Dreierbeziehung.

Über einen Streit, der weh tut, aber kei­nen heilt. Weil die Wahr­heit, die hier nie­mand kennt oder nie­mand ken­nen will oder nie­mand zu ken­nen glaubt, von Anfang an hin­ter einem kom­ple­xen Geflecht aus Spe­ku­la­tio­nen und Vor­wür­fen, Schön­re­den und Ver­schwei­gen ver­lo­ren gegan­gen ist.

Text: Bernd Buder