Spar­ta

Öster­reich / Deutsch­land / Frank­reich 2022, 99 min, Deutsch | Rumä­nisch mit deut­schen UT

Regie: Ulrich Seidl 

Vor Jah­ren hat es den Mitt­vier­zi­ger Ewald nach Rumä­ni­en ver­schla­gen. Jetzt wagt er einen Neu­an­fang. Er ver­lässt sei­ne Freun­din und zieht in die ver­arm­te, länd­li­che Ein­öde, wo er mit Jun­gen aus der Umge­bung ein ver­fal­le­nes Schul­ge­bäu­de zu einer Fes­tung aus­baut. Die Kin­der ent­de­cken dort eine Unbe­schwert­heit, die sie so nicht kann­ten, doch der Arg­wohn der Dorf­be­woh­ner lässt nicht lan­ge auf sich war­ten. Und Ewald muss sich einer lan­ge ver­dräng­ten Wahr­heit stel­len. SPAR­TA von Ulrich Seidl erzählt von der Unent­rinn­bar­keit der eige­nen Ver­gan­gen­heit und von dem Schmerz, sich selbst zu finden.

Am Anfang steht eines die­ser typi­schen Ulrich-Seidl-Tableaus. Es ist das­sel­be, mit denen der öster­rei­chi­sche Regis­seur auch RIMI­NI begin­nen ließ, das kurz vor­her erschie­ne­ne Bru­der­stück zu SPAR­TA: Eine Grup­pe von Rentner:innen sitzt neben­ein­an­der auf­ge­reiht im Auf­ent­halts­raum eines Senio­ren­heims und into­niert das Fass­nachts­lied So ein Tag, so wun­der­schön wie heu­te. Die Stim­men sin­gen schlep­pend, schwach und zitt­rig durch­ein­an­der, nur wenig ist schön an die­sem Tag und in die­sem Leben, das stellt Seidl gleich zu Anfang unmiss­ver­ständ­lich klar – so weit, so bekannt. (…)

Nun also RIMI­NI und SPAR­TA, zwei Fil­me, die eigent­lich einer wer­den soll­ten, die immer noch Spu­ren von­ein­an­der ent­hal­ten, nun aber getrennt von­ein­an­der ver­öf­fent­licht wer­den. Im Fokus ste­hen zwei Brü­der. Bei­de zieht es – in einer Art Flucht­re­flex vor dem Bekann­ten, der Ver­gan­gen­heit und sich selbst – ins Aus­land, den einen nach Rimi­ni, den ande­ren ins dörf­li­che Rumä­ni­en. Nach­dem RIMI­NI, der Micha­el Tho­mas als abge­half­ter­ten Schla­ger­sän­ger Richie Bra­vo durch eine trüb­graue Urlaubs­höl­le voll begra­be­ner Träu­me beglei­te­te, von vie­len Rezipient:innen nicht ganz zu Recht als busi­ness as usu­al bei­sei­te­ge­legt wur­de, hat SPAR­TA nun für die ers­te rich­ti­ge Seidl-Kon­tro­ver­se gesorgt. Die­se dreht sich erst­mals nicht um das Sicht­ba­re, son­dern um das Dahin­ter­lie­gen­de, genau­er: die Produktionsbedingungen. (…)

Was macht man mit einem Film, der von einer Dis­kus­si­on um Aus­beu­tung und Kin­des­wohl­ge­fähr­dung über­schat­tet wird? Nun: ihn sich im Zwei­fel erst ein­mal anschau­en. Denn zur Ambi­gui­tät des Sach­ver­halts gehört auch, dass die Vor­wür­fe mit SPAR­TA einen Film tref­fen, auf den vie­le der wie­der­keh­ren­den ästhe­ti­schen und per­spek­ti­vi­schen Kri­tik­punk­te nicht so leicht anzu­wen­den sind. Schon in der Kame­ra­füh­rung offen­bart sich eine Ver­än­de­rung: Die Zahl der künst­lich sym­me­tri­sier­ten, bewe­gungs­lo­sen Tota­len und Halb­to­ta­len ist deut­lich ver­rin­gert, an ihre Stel­le rückt wie schon bei RIMI­NI eine erstaun­lich agi­le Hand­ka­me­ra. Seidl zwingt die Figu­ren nicht mehr in die von ihm gewähl­ten Bild­aus­schnit­te, son­dern folgt ihnen nach und lässt sie auf die­se Wei­se das Blick­feld bestimmen. (…)

Zurück zum ein­gangs erwähn­ten Senio­ren­heim: Hier vege­tiert – offen­sicht­lich kurz vor sei­nem Tod – der Vater von Ewald und Richie vor sich hin, irrt ver­lo­ren durch die Gän­ge und wird inmit­ten des demen­ten Siech­tums blitz­licht­ar­tig von Erin­ne­rungs­fet­zen heim­ge­sucht, die ihn zurück in die Behüt­etheit sei­ner Kind­heit tra­gen oder Nazi­lie­der sin­gen las­sen. Die Wur­zeln des indi­vi­du­el­len Leids lie­gen nicht zuletzt in über Genera­tio­nen wei­ter­ge­reich­ten Trau­ma­ta. Das Ver­gan­ge­ne lässt uns selbst dann nicht ruhen, wenn die Gegen­wart schon vor unse­ren Augen ver­schwimmt. Die­ser klam­mer­ar­ti­ge Über­bau fin­det sich mit teils iden­ti­schen Sze­nen sowohl in RIMI­NI als auch SPAR­TA wie­der, und viel­leicht wäre er im Kon­text des Gesamt­wer­kes bes­ser auf­ge­gan­gen. Gleich­zei­tig pro­fi­tiert SPAR­TA von sei­ner Kon­zen­triert­heit. Wie der Regis­seur in RIMI­NI eine fra­gi­le Vater-Toch­ter-Annä­he­rung dazu nutzt, von der Tris­tesse und dem Tran­szen­denz­po­ten­zi­al von Schla­gern zu erzäh­len, hät­te sich schwer­lich mit dem unbe­haue­nen Qua­si-Neo­rea­lis­mus von SPAR­TA ver­tra­gen. Am Ende steht Ulrich Seidls streit­bars­ter Film seit Lan­gem, aber – so viel Ambi­va­lenz muss man aus­hal­ten – auch sein bes­ter.(Micha­el S. Ben­dix, kino​-zeit​.de)