Unruh

Schweiz 2022, 93 min, 

Schweizerdeutsch/​Französisch/​Russisch u. a. mit deut­schen UT

Regie: Cyril Schäublin 

1877: der rus­si­sche Kar­to­graf Pyotr Kro­pot­kin kommt in ein Tal im Schwei­zer Jura, ange­lockt von der hoch­ent­wi­ckel­ten Uhren­fer­ti­gung dort und von der Nach­richt, dass sich Arbeiter*innen zu einer anar­chis­ti­schen Gewerk­schaft zusam­men­ge­schlos­sen haben. Er trifft auf eine Gesell­schaft, in der Beam­te und Gen­dar­men über die rich­ti­ge Uhr­zeit wachen und dem Pro­duk­ti­ons­be­trieb und der Gemein­schaft den Takt vor­ge­ben. Immer effi­zi­en­ter wer­den die Pro­duk­ti­ons­ab­läu­fe in den Uhr­ma­nu­fak­tu­ren orga­ni­siert, die sekun­den­ge­naue Kon­trol­le erzeugt einen stei­gen­den Druck auf die Beschäf­tig­ten. Davon kann auch Jose­phi­ne ein Lied sin­gen, die über die Mon­ta­ge der Unruh, des Herz­stücks der mecha­ni­schen Uhr, wacht und den zuge­reis­ten Kro­pot­kin ken­nen­lernt. Inspi­riert von anar­chis­ti­schen Ideen for­dern sie die Befrei­ung der Zeit, set­zen Soli­da­ri­tät und Pazi­fis­mus gegen Markt­ge­set­ze und Nationalismus.

„Die Mon­ta­ge der Unruh durch Arbeiter*innen ist frei­lich ein Bild für die kapi­ta­lis­ti­sche Nor­mie­rung von Zeit­lich­keit. Aber im Jahr 1872 ist die Zeit noch nicht syn­chro­ni­siert und es ist auch noch nicht klar, in wel­che Rich­tung die­se anbre­chen­de Moder­ne gehen könn­te. Neben Beschleu­ni­gung und der For­mie­rung einer zuneh­mend tech­ni­sier­ten ‚Dis­zi­pli­nar­ge­sell­schaft‘ (Fou­cault), gibt es auch Hoff­nung auf Eman­zi­pa­ti­on und Selbst­be­stim­mung. UNRUH zeigt die­ses Unent­schie­de­ne und ver­wei­gert dabei den retro­spek­ti­ven Schluss, Geschich­te fol­ge irgend­ei­nem fixen Bewe­gungs­ge­setz. So war die anar­chis­ti­sche Gewerk­schafts­be­we­gung im Jura­tal, allen heu­ti­gen Kli­schees ent­ge­gen, tech­nik-pro­gres­siv und woll­te die Syn­chro­ni­sie­rung der Zeit im eige­nen Inter­es­se nut­zen. Und apro­pos Kli­schee: UNRUH steht qua­si en pas­sant gegen jenen schein­bar unzer­stör­ba­ren Unsinn auf, wonach Anar­chis­mus Cha­os bedeu­te, sich also gegen poli­ti­sche Orga­ni­sa­ti­on stel­le.“ (Simon Sto­ckin­ger, kino​-zeit​.de)

„Wie im Vor­gän­ger­film arbei­te­te Schäub­lin auch bei UHRUH mit Kame­ra­mann Sil­van Hill­mann zusam­men. Die Bil­der der bei­den heben sich in ihrer mat­ten Far­big­keit wohl­tu­end vom Sepia­matsch ab, der so vie­le his­to­ri­sche Fil­me bedeckt. Auch in UNRUH hal­ten die Bil­der eine Balan­ce zwi­schen Stren­ge und Spie­le­ri­schem. (…) Hill­manns Bil­der set­zen die Figu­ren in ein Span­nungs­ver­hält­nis zu ihrer Umge­bung. In wei­ten Ein­stel­lungs­grö­ßen scheint die Umge­bung immer wie­der die Figu­ren zu über­for­men. Wie DENE WOS GUET GEIT ist auch UNRUH ein Film, der über den Blick aufs Sys­tem die indi­vi­du­el­len Figu­ren nicht ver­nach­läs­sigt. Wie der Vor­gän­ger zählt auch UNRUH zum Bes­ten, was der euro­päi­sche Film aktu­ell zu bie­ten hat.“ (Fabi­an Tiet­ke, TAZ, 15.02.22)

„Ein lan­ger Dia­log, in dem eine ‚regleu­se‘ (also eine Arbei­te­rin, die in die Uhren­me­cha­nik das Herz­stück, eben die Unru­he, ein­setzt) dem stau­nen­den Fremd­ling ihr Hand­werk (und impli­zit ihre Poli­tik) erklärt, ist viel­leicht das schöns­te Stück Kino seit lan­ger Zeit. Und die Kino­in­tel­li­genz von Cyril Schäub­lin lässt auf eine gro­ße Kar­rie­re hof­fen.“ (Bert Reb­handl, FAS, 20.02.22)