Polen / Deutschland 2023, 82 min, Ukrainisch | Russisch mit deutschen UT
Regie: Piotr Pawlus, Tomasz Wolski
Zerbombte Straßen, Sperrholzplatten statt Fenstern, zerstörte russische Panzer. Diese Bilder sind die wiedererkennbaren Zeichen des russisch-ukrainischen Krieges – Oberflächenspuren, die in den Massenmedien reproduziert werden. Ausgehend von diesen Bildern beginnen die beiden Regisseure Tomasz Wolski und Piotr Pawlus ihre Reise durch die Ukraine; von den westlichen Städten über Kyiv nach Charkiw. Dieser Weg führt tief hinein in die Kriegserfahrung, vom Beobachten zum Erleben des Krieges mit den Ukrainer*innen. Plötzliche Explosionen in der Nähe einer Haltestelle, Abendessen im U‑Bahn-Bunker, im Versteck mit ukrainischen Soldaten, Friedhöfe, auf denen ukrainische Fahnen wie ein dichter Hain über neuen Gräbern wehen. Bild für Bild ersetzen die Regisseure das Gleiten auf der Oberfläche reproduzierbarer Kriegsbilder durch das Eintauchen in die Wirklichkeit, in der das Land seit dem 24. Februar 2022 lebt. Die Subjektivität der Ukraine wird bereits im Titel des Films bestätigt: Die Präposition „na“ (auf), die auf Flächen und Länder ehemaliger Reiche angewendet wurde, wird durch die Präposition „w“ (in) ersetzt, die die Unabhängigkeit des Staates betont. (Forum Berlinale 2023)
“Filme über den Krieg müssen sich in der Regel in irgendeiner Form ‘embedden‘, ‚einbinden‘. Mantas Kvedaravicius, der im März 2022 im umkämpften Mariupol drehte, fand Anschluss an eine Notgemeinschaft in einer Kirche inmitten schon zerstörter Gebäude. Der französische Philosoph Bernard Henry-Lévy ließ sich in dieser Zeit mit Kämpfern filmen, blieb aber zur tatsächlichen Front und zu den Gefechten in Mariupol (von denen er Bilder zeigt) auf Distanz. Pawlus und Wolski suggerieren mit W UKRAINIE eine Bewegung, die sie nach ihrem eigenen Ermessen und auf eigene Faust bestimmten. Man kann diese Bewegung auch metonymisch für das europäische Engagement nehmen: Wer sich ein Bild von den Verhältnissen im Land macht, wer nicht bei bloßen Foto-Ops bleibt, wird der Ukraine Unterstützung schwer versagen können. Im Sommer 2022, als dieser Film gedreht wurde, war die Lage für eine Weile wie in der Schwebe, obwohl auch in dieser Phase immer wieder Menschen starben und die Zerstörungen weitergingen. W UKRAINIE von Piotr Pawlus und Tomasz Wolski wird in einer künftigen Geschichte dieses Krieges als ein Dokument dienen, aus dem auch hervorgeht, wo eine unentschlossene europäische Politik hinführen könnte – in eine trügerische Alltäglichkeit.“ (Bert Rebhandl)
“Wie die Geschichten des Krieges erzählen? Wie einem Thema begegnen, von dem uns Fernsehen, Radio und Internet unentwegt berichten? (…)
Für uns hieß die Antwort, in unserem Film nicht den Krieg selbst zu zeigen. Wir wollten uns auf die Kriegsfolgen konzentrieren. Wir suchten nach ganz gewöhnlichen, ja banalen Szenen des Alltagslebens vor dem Hintergrund des Krieges. An spektakulären Aufnahmen von Tragödien, Tränen und Verzweiflung war uns nicht gelegen. Sie gibt es in anderen Berichten aus der Ukraine mehr als genug. Wir verfolgten das einfache Konzept, mit Hilfe von Totalen, gefilmt mit einer statischen Kamera, die Betrachter*innen aus dem Kinosessel in die Ukraine zu versetzen. Wir wollen, dass sie das tragische Geschehen und die Atmosphäre dort nachfühlen können. Dass sie eine Zeitlang mit den Ukrainern leben, in deren Welt, unter den grausamen Bedingungen dieses Ausnahmezustands. Wir wussten von Anfang an, dass die Stärke dieses Films nicht in einzelnen Szenen sondern in seiner Gesamtwirkung liegen würde, diesem langsamen Eindringen in die Materie des Krieges. (…) Es ist unsere Pflicht als Filmemacher, zu diesem Thema nicht zu schweigen, seine Trivialisierung zu verhindern. Die Realität, mit der wir es zu tun haben, bestärkt unsere Überzeugung, dass wir Menschen wenig aus der Geschichte lernen und aus dem Gelernten keine Konsequenzen ziehen. Bedauerlicherweise. Wie also die Geschichten des Krieges erzählen?“ (Piotr Pawlus, Tomasz Wolski)