Sowjetunion 1936, 81 min, 35mm, deutsche Synchronfassung von 1946
VORPROGRAMM:
Der Augenzeuge Nr. 1 D (Ost) 1946, 20‘, 35mm
Befreite Musik D 1946, 17‘, 35mm
Regie: Grigorij Aleksandrow
Wie die musikalischen Komödien LUSTIGE BURSCHEN und WOLGA-WOLGA von Grigori Alexandrow gehört auch ZIRKUS bereits damals zu den Klassikern des sowjetischen Unterhaltungskinos. Ljubow Orlowa, das weibliche Idol des stalinistischen Films (und Ehefrau des Regisseurs), spielt eine amerikanische Zirkuskünstlerin, die mit ihrem dunkelhäutigen Kind in der Sowjetunion Zuflucht findet und dort zum Star aufsteigt. Alexandrows Filme quellen nur so über von Musik, Bewegung und Inszenierungslust. Doch in Deutschland waren sie völlig unbekannt. Umso erstaunter reagierten Presse wie Publikum auf ZIRKUS, dessen deutsche Synchronfassung monatelang die Berliner Kinos füllte: „Das ist ein sowjetischer Beitrag zur Frage der Verschiedenheiten in der großen Völkerfamilie – mit der selbstverständlichen Achtung und Anerkennung des Daseinsrechtes aller Menschen. Aber was der übrigen Kulturwelt schon immer als Selbstverständlichkeit galt, das war ja in Deutschland zwölf Jahre außer Kurs gesetzt, und so könnte man diesen Film aus dem Jahre 1936 für eine drastische Antwort auf den Hitlerschen Rassenhaß halten.“ (Albert Hirte, Berliner Zeitung, 15.2.1946)
Im Vorprogramm läuft Ausgabe eins der ersten deutsche Nachkriegswochenschau DER AUGENZEUGE sowie der Kulturfilm BEFREITE MUSIK(R: Peter Pewas) über die Staatsoper.
Teil der Retrospektive:
Zwischen Kriegsende und Neuanfang – Die Kinokultur der Alliierten in Berlin 1945/46
Der Hunger nach Bildern war immens. Nach Bildern, die für kurze Zeit die aus Trümmern, Zukunftsangst und Not bestehende Wirklichkeit verdrängten, mit den wahlweise als Besatzer oder Befreier empfundenen sowjetischen Soldaten. Hinzu kam ein Verlangen nach anderen Bildern als jenen der vergangenen 12 Jahre nationalsozialistischer Herrschaft und Filmproduktion.
Bereits wenige Tage nach Einstellung der Kampfhandlungen am 2. Mai 1945 boten in Berlin wieder einzelne Kinos Filmprogramme an. Ende Mai waren es schon über 30 Kinos, und ihre Säle waren voll. Zunächst schien es das Publikum nicht zu stören, dass sowjetische Filme nur in russischen Sprachfassungen gezeigt wurden, neben einigen erbeuteten Kopien amerikanischer Filme aus Goebbels Reichsfilmarchiv. Mit der Ankunft der Amerikaner, Briten und Franzosen im Sommer 1945 wurde das Angebot diverser und die Programmarbeit professioneller. Bald standen auch Filme mit Untertiteln und deutschsprachige Synchronfassungen zur Verfügung, die den Bedürfnissen der Zuschauer entgegen kamen. Als harmlose Unterhaltung eingestufte deutsche Filme aus nationalsozialistischer Produktion ergänzten die Spielpläne.
Der Viermächtestatus Berlins wirkte sich auf das gesamte Kulturangebot der Stadt aus, in der die vier Alliierten ab Herbst 1945 förmlich um das beste Kinoprogramm wetteiferten. Allerdings waren die Interessen der Besatzungsmächte und des Publikums nicht immer deckungsgleich. Einerseits diente das Kino der Erholung von Sorgen und Strapazen des Alltags. Andererseits wurden die Besucher auf der Leinwand mit den im Namen von Volk, Nation und Führer verübten Gräueltaten konfrontiert, und die Alliierten warben für die Segnungen der Demokratie oder die Errungenschaften des Sozialismus.
Daneben gab es zaghafte Versuche, einen „neuen“ deutschen Film aufzubauen. Es entstanden kurze Kultur- und Animationsfilme, im Februar 1946 erschien die erste deutsche Nachkriegs-Wochenschau Der Augenzeuge. Wenige Monate später, im Mai folgte die Gründung der DEFA, deren erster Spielfilm, Wolfgang Staudtes Die Mörder sind unter uns, bereits in Arbeit ist.
Die Retrospektive Zwischen Kriegsende und Neuanfang. Die Kinokultur der Alliierten in Berlin 1945/46 lädt dazu ein, die alliierte Kinokultur im Berlin der unmittelbaren Nachkriegszeit kennenzulernen. Sie rekonstruiert historische, aus Wochenschau, Kulturfilm und Hauptfilm bestehende Programme, die in dieser Zeit des Übergangs zu sehen waren, beginnend mit der Befreiung und Besetzung Deutschlands im Mai 1945 bis zur Premiere von Die Mörder sind unter uns im Oktober 1946. Die von Frederik Lang kuratierte Filmreihe führt die unterschiedlichen, film- und kulturpolitischen Ansätze der vier Besatzungsmächte vor Augen. Ebenso erinnert sie daran, dass die Kinos der Nachkriegszeit zugleich Orte der Unterhaltung, der Zuflucht und des Lernens waren und dem Publikum als bitter nötiges Fenster in die Welt dienten.
Die Vorführungen der von der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt geförderten Filmreihe finden im Zeughauskino im Deutschen Historischen Museum statt und an „Originalschauplätzen“ im Kino Krokodil und im Bundesplatz-Kino, die bereits 1945/46 unter den Namen Nord-Lichtspiele und Lichtspiele am Kaiserplatz ihr Publikum unterhielten. Eine Begleitpublikation zur Filmreihe erscheint im Verlag SYNEMA (Wien).
Kurator der Retrospektive ist der Filmhistoriker Frederik Lang, der auch die Begleitpublikation zur Filmreihe mit herausgegeben hat.