Tan­gen­tia­le: The­men Tex­te Kino – Punkt 8

Wort, Bild und Imagination

Essay von Uwe Rada anlässlich des Films RHINLAND. FONTANE von Bernhard Sallmann

Land­schaft als Werk von Men­schen­hand. Bern­hard Sall­mann lässt in „Rhin­land. Fon­ta­ne“ den Meis­ter selbst zu Wort kom­men und zeigt Bil­der, die Raum las­sen für Gedan­ken, die auf Wan­der­schaft gehen.

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Wenn ich im Regio­nal­ex­press nach Prenz­lau aus dem Fens­ter schaue, mit dem Fahr­rad an der Oder unter­wegs bin oder mit dem Auto im Rup­pi­ner Land, bin ich auch noch Jahr­zehn­te nach mei­ner ers­ten Begeg­nung mit der Mark über­wäl­tigt. Eine Land­schaft im Über­fluss brei­tet sich vor mir aus, ganz das Gegen­teil von dem, was wir in den dicht geknüpf­ten Sied­lungs­tep­pi­chen zu sehen bekom­men, in denen Land­schaft oft nicht mehr ist als Abstands­grün zwi­schen Städ­ten und Indus­trie­ge­bie­ten. Nicht die Städ­te wer­fen in Bran­den­burg ihre Net­ze aus, son­dern Wäl­der, Seen, Kul­tur­land­schaf­ten, so dass der Mensch, vor allem der aus der Stadt, schnell demü­tig wird. Die Mark als Trost­land­schaft für den geplag­ten Städ­ter. Das ist unser Bild auf die Land­schaft, das Grün­der­zeit und Indus­tria­li­sie­rung her­vor­ge­bracht haben. Und auch Theo­dor Fon­ta­ne war da nicht ganz unschul­dig. In sei­nen „Wan­de­run­gen“ erfand er die Mark als tou­ris­ti­sche Mar­ke, und so sehen wir sie bis heu­te: blaue Seen, grü­ne Wäl­der, ehr­wür­di­ge Her­ren­sit­ze. Land­schaft und Geschich­te. Geschichtslandschaft.

Gleich­zei­tig aber weiß ich, dass die­ses Bild falsch ist, und manch­mal kann man es sogar sehen. Im Oder­bruch sind es die plan­mä­ßig ange­leg­ten Dör­fer, die davon zeu­gen, dass die Land­schaft von Men­schen­hand gemacht ist, kei­ne Idyl­le, son­dern ein den Sümp­fen der Oder abge­run­ge­nes Stück Land für Kolo­nis­ten, die ihr Kom­men nicht zu bereu­en brauch­ten, wie Fon­ta­ne wuss­te: „Man streu­te aus und war der Ern­te gewiss. Es wuchs ihnen zu. Alles wur­de reich über Nacht.“ Vor der gro­ßen Tro­cken­le­gung im 18. Jahr­hun­dert leb­ten im Oder­bruch sla­wi­sche Fischer. Fon­ta­ne muss ihr Schick­sal sehr berührt haben, des­halb zitier­te er mehr als hun­dert Jah­re spä­ter aus alten Berich­ten. Der Wan­del der Land­schaft war ihm bewusst. Das Land­schafts­bild der Mark ist auch das Ergeb­nis gro­ßer öko­no­mi­scher Umwälzungen.

Als ob es dazu eines Bewei­ses bedurft hät­te, hat Bern­hard Sall­mann sei­ne Kame­ra pos­tiert. Hat das Objek­tiv jus­tiert, mit Blick über den See nach Neu­rup­pin, die Geburts­stadt Fon­ta­nes, auf Schloss Rheins­berg, wo Preu­ßens Kron­prinz Fried­rich die Jah­re vor sei­ner Krö­nung ver­brach­te, auf Schloss Mese­berg, den Stech­lin. Es sind kei­ne Kame­ra­fahr­ten, die die mär­ki­sche Land­schaft ins Sze­ne set­zen, es ist die Land­schaft selbst, die sich von der Stand­ka­me­ra beob­ach­ten lässt als wäre die ein mensch­li­ches Auge. Immer wie­der geht der Wind durch die Grä­ser, gele­gent­lich fährt ein Auto durchs Bild, die Land­schaft, die die Kame­ra beob­ach­tet, ist also sehr gegen­wär­tig. Es sind Gedan­ken wie die­se, die man sich beim Schau­en des Fil­mes „Rhin­land. Fon­ta­ne“ von Bern­hard Sall­mann macht. Auch die Gedan­ken kön­nen auf Wan­der­schaft gehen.

Die Kame­ra, geführt von Sall­mann selbst, ist das eine Ele­ment des Fil­mes, das ande­re ist eine Stim­me. Sie stammt von Judi­ca Albrecht. Albrecht hat Fon­ta­ne die Stim­me gelie­hen, und man weiß nicht, wem man sich eher hin­ge­ben mag. Dem Eben­maß der rhyth­mi­schen Pro­sa des Dich­ters, oder dem hohen Ton, den Albrecht dar­aus hervorzaubert.

„Rhin­land. Fon­ta­ne“ ist kein Film fürs schnel­le Ver­gnü­gen. Das hat er mit der mär­ki­schen Land­schaft gemein. Man guckt ihn nicht ein­fach so weg. Man muss sich ein­las­sen, auf die Bild­äs­the­tik und den gespro­che­nen Text. Dann aber gibt es eine Men­ge zu ent­de­cken, und am Ende ist der eige­ne Blick auf die Land­schaft wie­der um eini­ge Bil­der rei­cher gewor­den. Zum Bei­spiel in Gent­z­ro­de. Nahe Neu­rup­pin hat­te 1876/1877 Alex­an­der Gentz ein Her­ren­haus im mau­ri­schen Stil bau­en las­sen. Es soll­te die Krö­nung des land­wirt­schaft­li­chen Betrie­bes sein, den Gentz mit sei­nem Vater auf­ge­baut hat­te. Die Fami­lie Gentz war reich gewor­den durch den Abstich von und den Han­del mit Torf, den er über den so genann­ten Fehr­bel­li­ner Kanal nach Ber­lin ver­schif­fen ließ. Die­ser mär­ki­schen Erfolgs­ge­schich­te las­sen sowohl Fon­ta­ne in sei­nen Wan­de­run­gen als auch Bern­hard Sall­mann in sei­nem Film brei­ten Raum: „Gent­z­ro­de wuchs; Wie­sen waren neu­er­dings erwor­ben wor­den und die Bäu­me gedie­hen noch über Erwar­ten hin­aus, so daß in den Grün­der­jah­ren vie­le Tau­sen­de davon ver­kauft wer­den konn­ten. Aus­fäl­le, die trotz­dem ein­tra­ten, konn­ten durch die rei­chen Torf­stich-Erträ­ge leicht gedeckt wer­den. Alex­an­der Gentz ver­folg­te rast­los den Plan einer all­ge­mei­nen Arron­die­rung sei­nes Besit­zes, sowohl sei­ner Äcker in Gent­z­ro­de, wie sei­ner Torf-Grä­be­rei­en im Luch. Die Leu­te nann­ten ihn den ‚alten Blü­cher‘, in Aner­ken­nung der Ener­gie, mit der er alles durch­führ­te, was er sich vor­ge­setzt hatte.“

Fon­ta­ne kann­te Gentz, weil sei­ne Eltern in der Nach­bar­schaft des Anwe­sens in Neu­rup­pin leb­ten. Umso mehr muss ihn der plötz­li­che Nie­der­gang des nach­bar­li­chen Unter­neh­mens getrof­fen haben, der auch ein Hin­weis dar­auf ist, wie sehr die Gestalt der Land­schaft nicht nur im Oder­bruch, son­dern auch in der Graf­schaft Rup­pin den wirt­schaft­li­chen Umwäl­zun­gen unter­wor­fen war uns bis heu­te ist. Den Abstieg in Gent­z­ro­de beschrieb Fon­ta­ne so: „Da, mit einem Male, war es, trotz die­ser Sie­ge, mit den ‚wach­sen­den Erträ­gen aus dem Luch‘ aus und dadurch mit Gent­z­ro­de, ja mit dem Wohl­stand der Fami­lie vor­bei. Wie kam das? Der Torf war über Nacht außer Mode gekom­men. Alles brann­te Stein­koh­len oder Bri­ketts und selbst die Zie­ge­lei­en, die bis dahin, ein sehr wich­ti­ger Punkt, die Kon­su­men­ten der sonst halb wert­lo­sen Torf­ab­gän­ge gewe­sen waren, bau­ten ihre Brenn­öfen um, um mit Hil­fe die­ser Neu­bau­ten die Vor­teil ver­spre­chen­de Mode mit­ma­chen und Stein­koh­len statt Torf ver­wen­den zu können.“

Torf also. Der Torf brach­te den Wohl­stand, und er nahm ihn wie­der. Hart war die Arbeit der Torfste­cher, auch davon zeu­gen Film und Fon­ta­ne. Man­cher­orts, wie im Wus­trau­er Luch, wur­den eigens Torf­häu­ser gebaut, in denen die Sai­son­ar­bei­ter leb­ten, um mit ihren Schneide­ei­sen, Torf­mes­sern und Draht­schnei­dern die Land­schaft umzu­gra­ben. Geschun­de­ne Land­schaf­ten in Bran­den­burg gab es nicht erst seit dem Umpflü­gen der Nie­der­lau­sitz durch den Braunkohletagebau.

Den­noch folgt die­se Land­schaft einer Ord­nung, die älter ist als das Werk des Men­schen. Denn inmit­ten aller Umbrü­che war es ein Fluss, der die Land­schaft zusam­men­hielt, der Rhin, dem Sall­mann auch den Titel sei­nes Fil­mes schenk­te, obwohl Fon­ta­ne selbst die­sem Teil sei­ner Wan­de­run­gen die Über­schrift „Graf­schaft Rup­pin“ gege­ben hatte.

„Der Rhin“, zitiert Judi­ca Albrecht Fon­ta­ne, „nimmt auf der ers­ten Hälf­te sei­nes Weges sei­ne Rich­tung von Nord nach Süd, bis er, nach Pas­sie­rung des gro­ßen Rup­pi­ner Sees, bei­nah plötz­lich sei­nen Lauf ändert und, recht­wink­lig wei­ter­flie­ßend, ziem­lich genau die Süd­gren­ze der Graf­schaft zieht.“ Fon­ta­nes Nei­gung, Flüs­se als Ord­nungs­sys­tem der Land­schaft zu akzep­tie­ren, ist offen­sicht­lich. Drei der ursprüng­lich vier Bän­de der Wan­de­run­gen waren nach Fluss­land­schaf­ten benannt, das Oder­land, das Ost-Havel­land und das Spree­land. Ein­zig die Graf­schaft Rup­pin bricht aus die­ser Ord­nung aus, um von Bern­hard Sall­mann wie­der dort­hin zurück geführt zu wer­den. „Rhin­land“, die­sen Namen trägt der Film nicht umsonst, wie das Zitat Fon­ta­nes zeigt.

Was­ser als Ele­ment der Land­schafts­ord­nung. In Bran­den­burg ist das etwas Selbst­ver­ständ­li­ches. Von den 14 Land­krei­sen des Bun­des­lan­des tra­gen acht die Namen eines oder meh­re­rer Flüs­se. Was­ser gehört also nicht nur zum natür­li­chen Erbe Bran­den­burgs, das mit sei­nen 3.000 Seen und 33.000 Fluss­ki­lo­me­tern zu den was­ser­reichs­ten Regio­nen Deutsch­lands zählt. Was­ser ist auch ein Teil sei­ner regio­na­len und kul­tur­ge­schicht­li­chen Iden­ti­tät geworden.

Gent­z­ro­de ist aber auch Bei­spiel dafür, wie flüch­tig die­se Iden­ti­tät sein kann. Ohne Nie­de­run­gen und Luche kein Torf, ohne Torf kein Fehr­bel­li­ner Kanal nach Ber­lin, ohne kein Reich­tum. In gewis­ser Hin­sicht war der Auf­stieg und Fall der Tor­f­in­dus­trie nur ein Vor­bo­te des Auf­stiegs der Koh­le­indus­trie. Was aber kommt danach?

Beim Torf wis­sen wir es. Das Her­ren­haus von Alex­an­der Gentz ist heu­te ver­las­sen, eine zer­fal­len­de Rui­ne, der Wind und Wet­ter zuset­zen, weil der Besit­zer, ein Inves­tor aus der Tür­kei, zwar eine Idee hat, sich mit der aber Zeit lässt. Eine Feri­en­an­la­ge soll dort ent­ste­hen. Mit Golf­plät­zen, Hotel, Vil­len und über 700  Ferienhäusern.

Gent­z­ro­de ist also bedroht und mit ihm ein Stück mär­ki­sche Geschich­te. Doch im Ver­gleich mit dem, was an Umwäl­zun­gen auf das Land zwi­schen Oder und Elbe zukom­men könn­te, waren die Tro­cken­le­gun­gen der ver­gan­ge­nen Jahr­hun­der­te viel­leicht nur Vor­bo­ten. Ich wer­de künf­tig genau­er hin­schau­en müs­sen, wenn ich zu Fuß, mit dem Fahr­rad oder dem Auto im Mär­ki­schen unter­wegs bin. Bern­hard Sall­manns Film „Rhin­land. Fon­ta­ne“ hat mich gelehrt, wie wich­tig bei­des ist: hin­hö­ren und hin­schau­en, auch wenn sonst wenig passiert.

Uwe Rada – März 2018